Artikel: Hochsensible Kinder stärken
 

Gastbeitrag: Feinfühlige und hochsensible Kinder verstehen

Familienexpertin Nora Imlau verrät dir, worauf es beim Umgang mit Feinfühligkeit und Hochsensibilität beim Kind ankommt!

Tränen, Ängste, Schüchternheit – das kennen fast alle Eltern mal von ihren Kindern. Doch wenn Kinder sehr nah am Wasser gebaut sind, viel weinen, oft Angst haben und überdurchschnittlich viel Begleitung und Rückversicherung brauchen, kann es gut sein, dass sie besonders reizoffen und sensibel sind. Feinfühlige Kinder sind zart besaitet: Alles geht ihnen nahe, nichts lässt sie kalt. Sie fühlen ganz intensiv, auch die Gefühle anderer Menschen spiegeln sich in nahezu ungebrochener Intensität in ihrer eigenen kleinen Seele wider. Das ist eine Gabe, manchmal aber auch eine Last. Denn so viel und tief zu fühlen, so schnell bestürzt und traurig zu sein, kostet Kraft. Und all diese tiefen Emotionen zu begleiten, ist auch für uns Erwachsene ungeheuer anstrengend.

Früher versuchte man leider oft, sensible Kinder durch eher raue Behandlung abzuhärten – eine ganz schlechte Idee. Denn Kinder werden nicht resilient und selbstbewusst, indem man sie härter anpackt, sondern indem sie lernen, dass sie gut und richtig sind, so wie sie sind. Das gilt natürlich auch für kleine Sensibelchen. Sie müssen spüren: Nicht jedes Kind muss stark und tough sein. Es gibt auch Raum für die leisen Kinder mit dem reichen, tiefen Gefühlsleben, die keinen Filter zu haben scheinen zwischen sich und der Welt.

Was macht feinfühlige, hochsensible Kinder aus? Was brauchen sie?

Hochsensible Kinder verstehen - Familienexpertin Nora Imlau gibt Tipps für Feinfühligkeit beim Kind

Hochsensibel werden feinfühlige Kinder auch oft genannt, doch im Grunde ist die Bezeichnung egal. Entscheidend ist, dass etwa jedes fünfte Kind feinfühliger ist als seine Altersgenossen, und dass diese Kinder besonders geduldige, verständnisvolle Erwachsene um sich herum brauchen, die ihnen helfen, mit ihrer besonderen Feinfühligkeit zurecht zu kommen. Dazu gehört, feinfühligen Kindern Rückzugsmöglichkeiten zu geben, in denen sie sich vor dem Lärm und Stress der Welt verstecken und ihr überreiztes Nervensystem wieder in die Ruhe bringen können. Dazu gehört viel körperliche Regulationshilfe: im Arm halten, kuscheln, trösten, gleichzeitig aber auch der Respekt vor körperlichen Grenzen. Manchmal ist sehr sensiblen Kindern nämlich jede Berührung zu viel, und sie brauchen es, dass wir für sie da sind, ohne sie dabei anzufassen. Was vielen sehr sensiblen Kindern ebenfalls hilft, sind Hilfsmittel, mit denen sie sich selbst vor Überreizung schützen können: weiche Kleidung, die die empfindliche Haut nicht irritiert. Eine Seife, die nach nichts riecht. Eine Zahnpasta, die nicht scharf schmeckt. Schallschutz-Kopfhörer für den Kindergarten oder die Schule, die den Lärm dort dämpfen.

Warum feinfühlige Kinder viel weinen und das auch gut so ist

Hochsensible Kinder verstehen - Familienexpertin Nora Imlau gibt Tipps für Feinfühligkeit beim Kind

„Mit Tränen bin ich übervoll, es stoppt nicht, wenn es aufhör’n soll“ – Juli Krokodil

Das Wichtigste ist, dass feinfühlige Kinder ihre Gefühle herauslassen dürfen – und das passiert oft beim Weinen. Sensible Kinder weinen häufig und intensiv, und für Erwachsene ist das oft schwer zu ertragen. Die Versuchung ist groß, das Weinen abstellen zu wollen: Durch Ablenkung, durch Erklärungen, manchmal auch durch eine wütende Ansage: „Jetzt ist aber mal Schluss mit dem Geheule!“ Doch Tränen sind ein Ventil. Sie helfen, emotionale Spannung abzubauen und überwältigende Emotionen abklingen zu lassen. Die große Herausforderung für Eltern, Großeltern und Fachkräfte ist es deshalb, weinende Kinder weinen zu lassen – ohne sie dabei abzuwerten oder zu ignorieren. „Beim Weinen ist es wie beim Lachen – ich muss dagegen gar nichts machen“, sagt Juli, das kleine Krokodil dazu, und genau das gilt auch für Menschenkinder. Wir müssen als Gesellschaft wieder lernen, Tränen und Traurigkeit zuzulassen, anstatt sie wegzuschieben, weil sie uns selbst unangenehme Gefühle bereiten. Die Ursache dafür ist gut erforscht: Wer als Kind selbst nicht weinen durfte, kann Tränen beim eigenen Nachwuchs auch nur schwer ertragen. Doch diese Unfähigkeit zu Trauern hat ihren Preis: Wer seine Gefühle nicht herausweinen darf, frisst sie in sich hinein, und das macht auf Dauer unglücklich, manchmal sogar aggressiv.

Hochsensible Kinder und ihre Gefühle – so gehst du damit um

Hochsensible Kinder verstehen - Familienexpertin Nora Imlau gibt Tipps für Feinfühligkeit beim Kind

Feinfühlige Kinder zeigen uns, wie es anders geht. So, wie sie ungefiltert alle Reize in sich aufnehmen, sprudeln ebenso ungefiltert auch alle überschießenden Emotionen wieder aus ihnen heraus. Das ist gesund und richtig so, und es ist wichtig, Kindertränen stets genau so zu verstehen: als Ausdruck echter Traurigkeit, Wut oder Verzweiflung, die ihren Weg nach draußen sucht. Leider werden in unserer Gesellschaft weinende Kinder oft als trotzig dargestellt, und ihre Tränen als Erpressungsmittel. Krokodiltränen werden diese angeblich „falschen Tränen“ oft genannt. Doch genau wie Juli Krokodil echte Tränen weint, weinen auch Kinder nie aus Berechnung, sondern immer aus echten Gefühlen heraus. Kindern zu unterstellen, sie wollten uns mit ihrem Weinen nur manipulieren, wird ihrem reichen Gefühlsleben deshalb nicht gerecht. „Die Tränen rollen wie sie wollen“ – das können Kinder nicht kontrollieren.

Für den Umgang mit feinfühligen Kindern ist es deshalb ganz wichtig, ihr Empfinden nicht als übertrieben abzuwerten, sondern als das anzunehmen, was es ist: als Ausdruck einer besonderen Offenheit für die Reize und Gefühle dieser Welt, die Verständnis und liebevoller Begleitung bedarf. Mit Juli, dem kleinen Krokodil, können Kinder wie Erwachsene gemeinsam lernen, dass es nichts Schlimmes ist, zart besaitet zu sein. Im Gegenteil: Feinfühligkeit ist eine unglaubliche Stärke, die viel Gutes in die Welt bringt, wenn wir lernen, die starken Gefühle, die mit ihr einher gehen, nicht zu unterdrücken, sondern wirklich zu erspüren: „Denn Gefühle willst du fühlen, und dann kannst du weiterspielen!“

Hast auch du ein besonders feinfühliges Kind zuhause? Wie äußert sich das und wie gehst du damit um? Kennst du schon die gefühlsstarken Kinderbücher von Nora Imlau? Schreib uns einen Kommentar!

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Autorin

Nora Imlau

Nora Imlau ist eine erfolgreiche Journalistin, Fachautorin und Referentin für Familienthemen. Mehrerer ihrer Sachbücher sind zu Bestsellern avanciert, darunter „So viel Freude, so viel Wut“ und „Du bist anders, du bist gut“, mit denen sie den Begriff der gefühlsstarken Kinder im deutschen Sprachraum einführte. Mit „Ein total genialer Mummeltag“ und „Und was fühlst du, Känguru?“ hat die vierfache Mutter erstmals auch Kinderbücher veröffentlicht.

Nora Imlau

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