Artikel: Kinderbuchmacherin Nanna Neßhöver im Interview
 

Nanna Neßhöver über gefühlsstarke Kinder(bücher)

Die „Fühlinchen-“ und „Wenn ich … bin-“Autorin hat mit uns über starke Gefühle im Kinderbuch und bei Kindern gesprochen.

Leseliebe: Frau Neßhöver, hauptberuflich arbeiten Sie als Lehrerin. Wie sind Sie dazu noch zu einer ‚Kinderbuchmacherin‘ geworden?

Nanna Neßhöver: Ich schreibe, seit ich sechs Jahre alt bin. Gedichte, Geschichten und viel Tagebuch. Immer hatte ich ein Gedankenbuch dabei, ein kleines Notizheft. Das musste einfach alles raus und ich habe schon immer mit meiner Phantasiewelt gelebt. Früher hat mein großer Bruder mir kleine Büchlein gestaltet und wir haben „Verlag“ gespielt. Mein Vater hat meinen Brüdern und mir immer viel vorgelesen, z.B. der kleine Wassermann usw. Meine erste richtige Veröffentlichung hatte ich dann in der Kinderbuchzeitschrift Gecko, mit der Geschichte „Kuno, der Kugelfisch“.

Die kleine Fledermaus Wegda

Leseliebe: Auf Ihrem Instagram-Profilbild schauen Sie wie „Die kleine Fledermaus Wegda“ kopfüber in die Kamera. Sind Ihnen solche Änderungen in der Perspektive auch beim Schreiben Ihrer Kinderbücher wichtig? Oder bleiben Sie lieber durchgängig der Nanna-Neßhöver-Sicht treu?

Nanna Neßhöver: Meine Sicht auf die Dinge ist oft verrückt und anders. Und das spiegelt sich in meinen Büchern wider. Mein Herz schlägt für die Fühlinchens da draußen, die immer ein wenig zu viel fühlen. Und ihren Platz in der Welt suchen müssen.

Leseliebe: Was macht für Sie ein gutes Kinderbuch aus?

Ein gutes Kinderbuch muss etwas auf den Kopf stellen, eine andere Perspektive zeigen. Mit Gegensätzen spielen und etwas Überraschendes bieten. Es kann aber auch eine ganz normal erzählte Geschichte sein, die die Kinder abholt. Das kann auf ganz unterschiedliche Weise passieren. Und das ist oft unergründlich…

Leseliebe: Ob „Fühlinchen“ oder Ihre „Wenn ich … bin“-Reihe, viele Ihrer Kinderbücher drehen sich um das Thema Gefühle. Warum? Und woher nehmen Sie die praktischen Tipps für den Umgang mit den Gefühlen?

Nanna Neßhöver: Ich fühle selbst oft alles gleichzeitig, wie das Fühlinchen. Aber ich habe von meiner Mutter, die Kinderpsychotherapeutin ist, die Stärke bekommen, keine Angst vor Gefühlen zu haben. Was für eine Erleichterung! Kinder müssen die Kraft bekommen, ihre Gefühle zu verstehen und sich nicht komisch zu fühlen. Mir macht es Spaß, anderen zu helfen und viele verschiedene Möglichkeiten zu finden, andere zu motivieren und zu trösten. Auch das ist eine Art Kreativität von mir.

Nanna Neßhöver

Leseliebe: Was sind Ihrer Meinung nach Situationen, die bei Kindern besonders heftige Gefühle auslösen? Und was meinen Sie, ist für Kinder bei starken Gefühlen besonders wichtig zu wissen oder zu lernen?

Nanna Neßhöver: Jede Situation kann große Gefühle auslösen, weil jedes Kind anders mit Situationen umgeht. Die einen werden schneller wütend, andere eher traurig oder ängstlich. Wichtig ist, dass Kinder keine Angst vor ihren Gefühlen haben dürfen! Da viele Kinder nicht über ihre Gefühle reden können, können auch Bücher, die bestimmte Situationen aufzeigen, helfen. Danach kann über die Geschichte gesprochen werden und manche Kinder beginnen sich plötzlich zu öffnen … Wenn man die Kinder mit ihren Gefühlen ernst nimmt, dann stehen sie auch zu ihren Gefühlen. Und können sie auch äußern. Und dann können sie wiederum anderen helfen. Vielleicht sogar den Erwachsenen, die auch oft nicht über ihre Gefühle sprechen können …

Leseliebe: Was sind für Sie persönlich die allerschönsten Gefühlsäußerungen? Und welche sind für Sie die größten Herausforderungen?

Nanna Neßhöver: Das allerschönste Gefühl ist es, so geliebt zu werden, wie man ist. Egal, wie verrückt man ist. Und die größte Herausforderung ist es, mutig zu sein. Zu sich zu stehen und seinen Weg zu gehen.

Leseliebe: Haben Sie als Pädagogin Tipps für Eltern zum Umgang mit den Gefühlen ihrer Kinder?

Nanna Neßhöver: Die Kinder müssen mit ihren Gefühlen ernst genommen werden. Und wenn z.B. Wut da ist, muss sie auch raus. Wie bei meinem Wutbuch, wo geschrien werden darf. Einfach mal mit dem Kind zusammen brüllen, nicht dagegen. Das kann sehr befreiend sein. Aber danach muss man auch immer versuchen, mit den Kindern darüber zu reden. Und eine Möglichkeit finden, damit umzugehen. Die Kinder finden auch selbst oft Lösungen, die ihnen helfen können. Man muss nur gut zuhören und sich Zeit nehmen. Ganz Kleine können noch nicht reden, aber auch da können wieder kleine Geschichten helfen, die man ihnen vorlesen kann. Es ist schön, dass es immer mehr Bücher gibt, die auch Gefühle zum Thema haben.

Innenseite Wenn ich wütend bin

Leseliebe: Welches Kinderbuch oder welche Lese-Situation hat in Ihrer eigenen Kindheit einen Eindruck hinterlassen, der bis heute nachwirkt und warum?

Nanna Neßhöver:

„Mary Poppins“, von P.L. Travers. Dieses verrückte Kindermädchen, das mit Zuneigung und Phantasie die Kinder stark macht. Daran denke ich immer, wenn ich Lehrerin bin.

„Die kleine Seejungfrau“, von Hans Christian Andersen. Ein Märchen von einer kleinen Seejungfrau. Ich liebe Unterwasserwelten.

Auch die Bücher von Erich Kästner, z.B. „Das fliegende Klassenzimmer“, haben mich mit ihrem Humor und ihrer Lebensklugheit in den Bann gezogen.

Ich habe immer und überall gelesen. Dass man mit einem Buch eine andere Welt mitschleppen kann, das fasziniert mich bis heute.

Leseliebe: Sie haben einen magischen Wunsch frei und dürfen drei Bücher bestimmen, die jedes Kind auf der Welt in seiner Kindheit liest. Abgesehen von Ihren eigenen, für welche Bücher entscheiden Sie sich?

Nanna Neßhöver:

Die Geschichte vom kleinen Onkel (Barbro Lindgren; Eva Eriksson)

Die unendliche Geschichte (Michael Ende)

Schlinkepütz, das Monster mit Verspätung (Susan Kreller; Sabine Büchner)

Leseliebe: Ergänzen Sie doch netterweise den folgenden Satz für uns: Leseliebe ist …

Nanna Neßhöver: … eine Magie zum Mitnehmen.

Autorin

Nanna Neßhöver

Nanna Neßhöver arbeitet als Lehrerin und Autorin. Ihre erfolgreichen Kinderbücher befassen sich häufig mit dem Thema Gefühle und holen Kinder in ihrer konkreten Lebenswirklichkeit ab. Dabei liegt ein besonderer Schwerpunkt auf Mitmachbüchern, die Kinder direkt beim Lesen aktivieren und ihnen ebenso Spaß wie hilfreiche Unterstützung beim Großwerden bieten.

Nanna Neßhöver

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