Artikel: Kolumne
 

Märchen die Geschichte im Mund umdrehen

KOLUMNE | Das kommt vom Lesen!

Rike Drust schreibt herrlich erfrischend und ehrlich über ihren Familienalltag und welche Rolle Kinderbücher dabei spielen.

Als ich Mutter wurde, habe ich Märchen lange kategorisch abgelehnt. Ich fand sie viel zu brutal und das Frauenbild hat mich genervt. Wir hatten zwar ein Märchenbuch, in das ich allerdings nicht einmal reingeguckt habe. Weil bei meinem Sohn das Interesse für Märchen noch geringer war als das, am Stück zu schlafen. Ich fühlte mich voll bestätigt:

Märchen sind doof und nichts für Kinder. Dann bekam ich meine Tochter.

Sie schlief genauso schlecht wie mein Sohn, aber im Gegensatz zu ihm liebte sie Märchen. Sie gruselte sich gern dabei, und irgendwie schien ihr die klare Einteilung von Gut und Böse Sicherheit zu geben. Ich kramte also unser Märchenbuch wieder raus und entdeckte mit ihr schönste Illustrationen und eine Sprache, die auf so unkomplizierte Weise sperrig war, dass das Vorlesen voll Spaß gemacht hat. Beim Vorlesen habe ich ihr erklärt, dass Märchen in einer anderen Zeit geschrieben wurden und deshalb teilweise so krass sind. Das hat sie genauso verstanden wie die Bücher, in denen Märchen auf den Kopf gestellt werden.

Wir lieben die Wolf-Trilogie von Sebastian Meschenmoser, in der der Wolf z.B. nicht schafft, die sieben Geißlein zu fressen, weil er sie in der chaotischen Wohnung nicht findet. Und mein schon ziemlich cooler Sohn guckt gackernd auf youTube Julian Bams ‚Märchen in Asozial‘. Gestern hat er sogar in der Schule selbst ein Märchen geschrieben. Es ist ein großartiger Text mit Gut und Böse, Witzen und überraschenden Wendungen - alles vorbildlich gegendert.

Da habe ich mir gedacht: Siehstewoll! Du musst Märchen gar nicht bedingungslos lieben, aber es ist gut, sie zu kennen.

Denn nur dann verstehst du, wenn andere sie lustig verdrehen. Und wenn du einen richtigen Lauf hast, so wie mein Sohn gestern, dann kannst du daraus alles machen, was du willst.

Autorin & 2-fach Mama

Rike Drust

Rike rezensiert als @kinstabuch auf Instagram die Lieblingsbücher ihrer Familie. Wenn sie nicht liest oder über Bücher schreibt, arbeitet sie als Autorin und Werbetexterin, sehnt sich nach Wald oder legt einfach mal die Füße hoch. Beliebte Bücher von ihr sind "Muttergefühle" und "Muttergefühle.Zwei".

Rike Drust