Den Tag von der Bettkante schubsen

Wenn meine Kinder ins Bett sollen, fällt ihnen meistens noch was ein. Dass sie Durst haben zum Beispiel oder für einen Dienstag den völlig falschen Schlafanzug angezogen haben. Oder dass sie unbedingt etwas mit mir besprechen müssen, und ihnen fällt bestimmt auch gleich ein Thema ein. Sowas. Das ist meistens lustig, kann aber auch echt nerven! Wenn ich einen Scheißtag hatte, will ich nämlich eigentlich aufs Sofa und nicht auffordern, warten und diskutieren. Dann bekomme ich schlechte Laune, mit der ich die Kinder anstecke und irgendwann meckern wir uns im Kreis an. Keine besonders gute Voraussetzung fürs anstehende Einschlaflesen. Aber dann passiert, was immer passiert:

Irgendwann liegt ihr Kopf für uns beide herrlich gemütlich auf meiner Brust, und der Alltag hat heimlich auf Pause gedrückt. Jetzt geht es bei uns um ein Mädchen, dem zwei Mitschülerinnen blaue Flecken in die Arme gekniffen haben. Ich werde traurig, als ich vorlese, wie es sich dabei fühlt. Auch meine Tochter guckt besorgt und berichtet, dass sie noch nie gekniffen, aber schon mal gehauen wurde. Wir sprechen über Gemeinheit und Gewalt, und wie wir darauf reagieren können. Und ich sage ihr, dass ich genauso eine Wut kriegen würde wie der Vater des Mädchens, weil ich es überhaupt nicht aushalten kann, wenn jemand gemein zu meinen Kindern ist.

Wir drücken uns und lesen weiter. Wie immer viel zu lange, weil keine Stelle gut zum Aufhören, aber jede besser zum Weiterlesen ist. Viel zu spät schläft meine Tochter angekuschelt an mich ein. Wie schön diese Nähe ist (und die Ruhe). Aber das schönste ist, dass Vorlesen das kann: Uns aus jeder Lebenslage in eine andere Welt holen und den Streit einfach von der Bettkante schubsen.