Artikel: Grundschul-Leseförderung
 

Interview: Lesen in der Grundschule

Was, wann und wie wird in der Grundschule gelesen? Kinderbuch­bloggerin und Grundschul­lehrerin Henrike Meurer erzählt!

Leseliebe: Frau Meurer, Sie sind Grundschullehrerin und erleben den Schulalltag der Kinder aus erster Hand. Welchen Stellenwert hat das Lesen in der Grundschule?

Henrike Meurer: Lesen ist eine der Schlüsselqualifikationen, die in der Schule gelernt werden. Der Erwerb dieser Kompetenz ist die Grundvoraussetzung für den weiteren Lebensweg, denn Lesen wird nicht nur in der Schule benötigt, sondern vor allem, um sich in der Gesellschaft zurechtzufinden.

In Rheinland-Pfalz wurde daher nun verpflichtend das Leseband eingeführt. Dies ist eine tägliche Lesezeit, die mindestens zehn Minuten beträgt und in der die Kinder systematisch Lesen üben. Neben Lesetechniken, Lautleseverfahren und Lesestrategien soll auch immer Platz zum „freien“ Lesen sein, so dass die Kinder lesen können, was sie selbst anspricht. Sei es ein Comic, eine Kinderzeitschrift, ein Erstlesebuch oder der erste Kinderroman. Ich berichte hier hauptsächlich von den Schulen in Rheinland-Pfalz. In anderen Bundesländern wurde die Wichtigkeit des Lesens ebenfalls durch verpflichtende Lesebänder-, -zeiten in den Leitfäden verankert, jedes Bundesland hat hier aber andere Richtlinien.

Leseliebe: Können Sie uns einmal erzählen, wie so eine freie Lesezeit dann aussieht?

Henrike Meurer: Wenn freie Lesezeit ist, wissen die Kinder, dass sie ab jetzt schmökern dürfen. Viele Kolleg*innen haben für diese Zwecke das Bankbuch ritualisiert. Die Kinder dürfen sich in der Schul- oder Klassenbücherei ein Buch hierfür aussuchen oder eines von zu Hause mitbringen, das dann unter der Bank liegt und in der Lesezeit genutzt wird. Hierbei ist es für die Lesemotivation wichtig, dass die Kinder frei die Textgattung und auch den Inhalt aussuchen dürfen. Es gibt daher immer die verschiedensten Bücher, die in dieser Zeit gelesen werden.

Wichtig ist dabei auch, dass die Kinder beim Lesen nicht am Platz sitzen bleiben müssen. Die Kinder können sich in der Regel im Klassenraum verteilen und sich ein gemütliches Fleckchen suchen. Viele Klassenräume haben mittlerweile von den Lehrer*innen eingerichtete Leseecken. Immer wieder werden in dieser Zeit auch die Schulbüchereien genutzt, wenn man selbst keine Leseecke im Klassenraum hat. Manche Kinder nutzen hier auch gerne die Lesetiere, denen sie dann vorlesen.

Einfach Lesen lernen: Zur Leseförderung gibt es eine große Buchauswahl in der Grundschule

Leseliebe: Erzählen die Kinder anschließend, was sie gelesen haben? Oder wird es kontrolliert?

Henrike Meurer: Die Lesezeit wird in der Regel nicht jedes Mal einzeln überprüft. Wenn Kinder ihre Bücher beendet haben, können sie diese häufig bei Antolin eintragen. Dies ist eine Internet-Plattform, bei der die Kinder Fragen zum Buch beantworten und Punkte sammeln können. Immer wieder werden die Bücher auch den Mitschüler*innen vorgestellt und präsentiert. In manchen Schulbüchereien gibt es Tische, an denen die Kinder ihre Buchtipps aus- und vorstellen. Buchtipps von und für Kinder sind immer sehr motivierend.

Während der Lesezeit ist die Lehrkraft immer Ansprechpartner*in und hilft, wenn Kinder nicht „ins Lesen kommen“ oder Wörter nicht verstehen. Gleichzeitig bietet sie aber auch Kindern, die noch nicht so gut lesen können, Hilfen an und liest mit ihnen gemeinsam. Immer mehr Bücher werden nun mit QR-Codes ergänzt, mit denen man auf die Hörbuchfunktion zugreifen kann. Dies ist für viele Kinder eine tolle Unterstützung.

Leseförderung in der Grundschule - so kann eine Leseecke aussehen

Leseliebe: Gibt es neben der freien Lesezeit bei Ihnen in der Grundschule noch weitere Rituale, die das Lesen fördern?

Henrike Meurer:  Ich finde es wichtig, dass man selbst immer Lesevorbild ist und den Kindern einen Zugang zu verschiedenen Genres bietet. So lese ich den Kindern schon immer in der Frühstückspause vor.  Die Frühstückspause ist 15 Minuten lang und wir lesen hier immer verschiedene Bücher, die die Kinder zum Teil auch mit auswählen dürfen. Wie eben schon gesagt, versuche ich immer eine Mischung aus Klassikern, neuen Kinderbüchern und auch Kinderbuchreihen zu finden. Mit meiner jetzigen Klasse ist „Die Schule der magischen Tiere“ der absolute Renner und wir haben dieses Schuljahr schon Band 1 bis 3 gelesen. Band 4 wird Thema am Bundesweiten Vorlesetag.

Auch zum Advent wird in vielen Klassenzimmer vorgelesen. Es gibt viele tolle Buch-Adventskalender, die sich super eignen. Bei uns bietet die Stadtbücherei sogar einen Vorlese-Adventskalender an, zu dem es dann jeden Tag auch ein kleines Rätsel gibt. Solche Angebote finden sich zum Glück in vielen Städten und Adventskalender-Bücher gibt es auch eine ganze Menge. Toll sind hier zum Beispiel „Der kleine Herr Heimlich wartet auf Weihnachten“ , „Maximilian und das große Weihnachtswunder“ oder auch „Die Schule der magischen Tiere: Vierundzwanzig“.

Zusätzlich zum Vorlesen gibt es immer wieder Aktionen rund um das Lesen, die dieses fördern sollen.

Tolle Aktionen für die Leseförderung in der Grundschule

Leseliebe: Was für Aktionen sind das? Können Sie uns einige vorstellen?

Henrike Meurer: Ich starte einfach mal mit Autor*innenlesungen. Viele Schulen ermöglichen es den Schüler*innen, dass sie in ihrer Grundschulzeit einmal – manchmal auch häufiger – Lesungen von einem Autor oder einer Autorin erleben können. Das ist natürlich etwas Besonderes, das bleibende Erinnerungen schafft und das Lesen zusätzlich fördert.

Häufig finden diese am Bundesweiten Vorlesetag statt. Dieser Tag wird an Schulen immer recht groß gefeiert und wenn es keine Lesung gibt, dann andere tolle Leseaktionen. Zum Beispiel, dass Eltern, Großeltern oder andere Personen aus dem Dorf zum Vorlesen in die Schule kommen.

Ich habe bei uns an der Schule vor fünf Jahren außerdem die Lesewanderung eingeführt. Wir sind mit meiner damaligen 1. Klasse an diesem Tag durch den Ort „gewandert“ und durften vier verschiedene Kinder zu Hause besuchen. Hier haben dann die Eltern vorgelesen und es gab Kakao oder Kinderpunsch. Dies hat uns so viel Spaß gemacht, dass im nächsten Jahr die ganze Schule mitgemacht hat und auch dieses Jahr wird es von einigen Klassen wieder durchgeführt.

Ein Highlight für Kinder sind auch Lesenächte, bei denen die Kinder abends oder zum Teil auch über Nacht in der Schule bleiben und dann gemeinsam gelesen wird.

Beliebt ist ebenfalls der Besuch der städtischen Büchereien. Vor Ort gibt es dann meist eine Führung und die Kinder erfahren so einiges über den Alltag in einer Bücherei und dann wird häufig noch etwas vorgelesen. Es ist wichtig, den Kindern solche Orte zu zeigen, denn hier gibt es kostenlose oder vergünstigte Büchereiausweise, mit denen sie dann Zugang zu vielen Büchern haben.

Apropos Bücherei – hier ein Tipp an die Kolleg*innen. Viele Büchereien bieten neben den bekannten Medienzentren ebenfalls Bücherkisten zu verschiedenen Themen an.

Leseliebe: Das klingt nach vielen tollen Aktionen zur Leseförderung! Welche Rolle spielen Bücher unabhängig vom Lesenlernen sonst noch in der Grundschule ?

Henrike Meurer:  Bücher sind auf jeden Fall ein sehr wichtiges Medium im Unterricht. Bücher können einfach so viel mehr als andere Materialien und lassen sich ganz flexibel einsetzen.

Durch Bücher können Kinder abgeholt werden. Bücher bieten häufig tolle Zugänge zu den verschiedensten Themen im Unterricht oder für die Belange der Schüler*innen auch außerhalb des Unterrichts. Sie nehmen die Kinder an die Hand, bauen Brücken oder finden Worte, wo man selbst nach Worten sucht, zum Beispiel zu Themen wie Gefühle, Liebe, Tod und Trauer, Krankheiten.

Aber natürlich sind Bücher auch fachlich eine Bereicherung. Das Tolle ist, dass das Angebot hier so variiert, dass es für eigentlich jedes Fach in der Grundschule geeignete (Bilder)Bücher gibt. Die Auswahl an Sachbüchern ist ebenfalls so vielfältig, dass bei vielen Unterrichtsthemen die Lehrkräfte Büchertische oder Bücherkisten zur Verfügung stellen, damit die Kinder hier selbst auch nachlesen und forschen können.

Ein Büchertisch in der Grundschule - lesen und sich informieren zu bestimmten Themen

Die Schule soll aber den Kindern nicht nur das Recherchieren mit Büchern oder das Medium Buch als Einstieg oder Schreibimpuls zeigen, sondern den Kindern auch die „Leseliebe“ übermitteln. Bücher können nämlich noch viel mehr: Mit ihnen können wir in andere Welten eintauchen, unserer Fantasie sind mit Büchern keine Grenzen gesetzt, die Kreativität wird gefördert, Kinder lernen verschiedene Persönlichkeiten in Büchern kennen und stärken ihre eigene Persönlichkeit. Sie lernen verschiedene Typen von Menschen kennen, bekommen Vorbilder, lernen wie man miteinander umgeht und vor allem gerade gibt es ganz viele Bücher, die die Kinder auf ihrem Weg unterstützen mit Affirmationen und positiven Mindsets.

Und all diese Punkte gehören zu unserem Bildungsauftrag in der Grundschule dazu – darum ist das Lesen und Vorlesen ein wesentlicher Bildungsauftrag in der Grundschule.

Grundschullehrerin & Kinderbuchbloggerin

Henrike Meurer

Ein liebes Hallo,

ich bin Henrike, 36 Jahre alt, Grundschullehrerin und Kinderbuchbloggerin. Als „frau_buecherfee“ blogge ich auf Instagram – immer auf der Suche nach Büchern, die Bücherherzen höherschlagen lassen.

Vor fünf Jahren bekam ich die „Idee geschenkt“, meine gesammelten Bilderbücher im Internet vorzustellen. Seitdem ist aus dieser Idee ein großes Hobby geworden und ich habe große Freude daran, andere mit meiner „Leseliebe“ anzustecken.

Auf meiner Seite zeige ich euch Bücher, die an die Hand nehmen, inspirieren, unterstützen, helfen, aufklären oder trösten. Die, die Brücken bauen & Mauern einreißen, die Wissen vermitteln oder einfach lustig sind. Wenn mich eines absolut überzeugt, nenne ich es #herzbuch.

Schaut doch gerne einmal bei mir vorbei:

Henrike Maurer - Grundschullehrerin und Frau Bücherfee  - im Interview zum Lesen in der Grundschule

Foto von Henrike Meurer: (c) Matthieu Lenz

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