Die längste Zeit meiner Kindheit hatten wir keinen Fernseher. So wurde ich zum „Radiokind“, ein bisschen wider Willen. Diesem Umstand verdanke ich aber ein liebgewonnenes Weihnachtsritual, und zwar das Hörspiel „Hilfe, die Herdmanns kommen“ bei Mikado, dem Kinderradioprogramm des NDR. Es ist die Geschichte über eine auf den ersten Blick ziemlich schlimme Familie. Die Kinder lügen, rauchen, klauen. Sie sind der Schrecken der Nachbarn und Lehrer. Selbst die Katze ist unerzogen. Kurzum, RTL2-Redakteure stünden hier Schlange. Und ausgerechtet diese Problemkinder haben die Hauptrollen im Krippenspiel ergattert. Die Geschichte steuert auf die schlimmste Aufführung aller Zeiten zu, endet aber doch besinnlich – so viel sei verraten. Geschrieben wurde die Geschichte bereits 1972 von der US-Amerikanerin Barbara Robinson. Für die Herdmanns erhielt sie unzählige Literaturpreise. Außerdem gehört das Buch in den USA bis heute zur beliebtesten Lektüre bei Schulkindern. Ins Deutsche wurde die Geschichte übrigens vom wunderbaren Paul Maar übersetzt. Doch zurück zum Thema: Mit den Herdmanns begann meine Vorliebe für ungewöhnliche Weihnachtsgeschichten abseits von Krippenspiel und Tannenbaum. Begünstigt wird diese Haltung bis heute durch eine konfessionslose Alt-68er-Erziehung.
Gastbeitrag: Weihnachte lieber ungewöhnlich
Traditionelle Weihnachtsgeschichten sind schön, doch in der besinnlichen Zeit darf es gerne auch mal ungewöhnlicher zugehen.
Muppets und Kevin - Allein zu Haus als Weihnachtstradition
Wobei, ganz ohne Traditionen geht es natürlich nicht: Ich hatte jahrelang eine Star Wars Krippe. Auch auf Literatur-Klassiker wollte ich nicht verzichten. Nehmen wir die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens. Ihr erinnert euch: Der alte Geizhals Ebenezer Scrooge bekommt in einer einzigen Nacht Besuch von seinem verstorbenen Teilhaber Jacob Marley und drei weihnachtlichen Geistern. Begegnungen, die einen so nachhaltigen Eindruck hinterlassen, dass er sein Leben danach komplett umkrempelt und großzügig und gutherzig wird. Diese Weihnachtsgeschichte habe ich nicht nur gelesen, sondern auch sehr oft gesehen und zwar in der Muppets Variante mit Kermit als armem Buchhalter und Miss Piggy als seiner Frau. Besonders berührend ist der kleine Timmy. Wenn wir gerade beim Fernsehen sind, ein Film, der bis heute in der Weihnachtszeit nicht fehlen darf, ist „Kevin - Allein zu Haus“. 1990 kam die Komödie in die Kinos und war ein Klassiker meiner Generation – die Story kennt eigentlich jeder: Der achtjährige Kevin wird von den Eltern zu Hause vergessen und muss sein elterliches Haus gegen zwei Einbrecher verteidigen. Viel Slapstick, viel Komödie, das Ideal für einen Nachmittag auf dem Sofa mit Kakao und Keksen. Der einzige Haken: Mein Sohn ist mit seinen vier Jahren noch zu klein für lange Filme oder eine etwas gruselige Weihnachtsgeschichte mit Geistern. Deshalb lesen wir lieber weihnachtliche Geschichten mit bekannten Kinderbuchhelden.
Mit Conni und Bobo Siebenschläfer in Weihnachtsstimmung
Ein treuer Begleiter war in den letzten beiden Jahren das Weihnachtsbuch von Bobo Siebenschläfer. Darin bastelt der Nager erst einen Adventskalender, dann einen Adventskranz und einen Wunschzettel und sucht zu guter Letzt noch einen Weihnachtsbaum aus. Und natürlich schläft er am Ende jeder Geschichte ein. Inzwischen liegt dieses Buch genauso im Giftschrank wie die Weihnachtserlebnisse von Leo Lausemaus. Um „Conni feiert Weihnachten“, „Conni und der Nikolaus“ und „Conni bastelt eine Krippe“ dagegen, kommen wir auch in diesem Winter nicht herum. Zum ersten Mal musste ich die Weihnachtsgeschichten des Mädchens mit der Schleife im Haar schon Mitte Oktober vorlesen. Wenige Tage vor dem ersten Mal „Last Christmas“ im Supermarkt, wenige Tage vor dem ersten Schokolebkuchen bei der Uroma. Also höchste Zeit für etwas Konkurrenz und Abwechslung. Meine Wahl fiel auf ein Mädchen mit Zöpfen und starkem Willen: Pipi Langstrumpf. Auch Astrid Lindgren schrieb nämlich eine wunderbare Weihnachtsgeschichte für ihre taffe Kinderbuchheldin. Die Kinder Pelle, Bosse und die kleine Inga sind darin am Heiligen Abend ganz allein. Es droht das traurigste Weihnachten aller Zeiten. Doch dann kommt Pippi, sie bringt höchstpersönlich einen Weihnachtsbaum und viele Geschenke mit. Damit ist das Fest gerettet und beschert uns eine schöne Weihnachtsbotschaft: Bitte denkt auch an die Menschen, die am 24.12 ganz allein sind.
Und zack ist der Weihnachtsbaum weg
Eine eher fragwürdige Weihnachtsbotschaft, dafür aber eine umso amüsantere Geschichte liefert uns Dr. Brumm zur besinnlichen Zeit. Mit seinen Freunden Pottwal und Dachs macht sich der sympathisch-trottelige Bär auf die Suche nach dem schönsten Weihnachtsbaum im ganzen Wald. Schnell ist der gefunden. Doch Bauer Hackenpiep, so etwas wie der Erzschurke und Widersacher der Drei, schnappt ihnen den Baum einfach weg. Doch natürlich geben Dr. Brumm und Co nicht auf, brechen im Bauernhaus ein, bedienen sich großzügig am Weihnachtsmenü und nehmen auch noch den Baum mit. Eine herrlich schräge Geschichte, die mein Sohn sehr mag. Auch in Sachen chaotische Weihnachtsfamilie habe ich inzwischen einen ganz guten Ersatz gefunden – immerhin ist er auch für die Herdmanns noch ein wenig zu klein. Dafür stehen aber die Olchis seit einem Besuch im Puppen-Theater hoch im Kurs. Auch von den bekanntesten Bewohnern von Schmuddelfingen gibt es eine tolle Weihnachtsgeschichte. Darin versuchen sie ein Mobile aus Klopapier auf dem Weihnachtsmarkt zu verkaufen, treffen auf eine Polizistin, die zu Weihnachten nicht arbeiten will und einen genervten Kaufhaus-Weihnachtsmann. Und zusammen feiern sie ein ziemlich krötiges Fest. Vielleicht ist das die schönste Erkenntnis aus all diesen ungewöhnlichen Geschichten: Egal wie verrückt die Zeit, egal wie anders die Umstände, ein schönes Weihnachtsfest kann man trotzdem feiern, man muss es nur anpacken. Und das gilt wohl auch für dieses Jahr 2020.
Welche Weihnachtsgeschichten lest ihr euren Kindern vor? Welche Weihnachtsgeschichten habt ihr in der Kindheit geliebt? Und was wird auf keinen Fall (vor-)gelesen? Verratet es uns in den Kommentaren!
Birk Grüling
Birk Grüling ist vormittags schreibender und nachmittags spielender und vorlesender Papa. Als freier Autor schreibt er nicht nur Texte für Kinder, sondern auch für Medien wie Spiegel Online, RND, Süddeutsche Zeitung, Eltern oder DAD über Väterrollen, frühe Kindheit und digitale Bildung. Leseliebe ist für ihn ... eine tolle Gelegenheit für gemeinsame Momente zum Kuscheln und Träumen.
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