Mein Sohn war schon einmal toleranter, also bei der Bücher-Auswahl. Früher verließen wir die Bibliothek noch mit gesammelten Werken über Ballett, Prinzessinnen oder Pferde. Von seiner großen Bibi-Tina-Phase habe ich bis heute einen stetig wiederkehrenden Ohrwurm. Conni beim Ballett und Reiten waren zweitweise die meistgelesenen Geschichten. Inzwischen ist aus seiner Sicht Rosa eine Mädchen-Farbe. Einhörner findet er doof, außer es sitzt ein schwerbewaffneter Ritter darauf. Und in Gute-Nacht-Geschichten sollten mindestens Drachen, Piraten, Ritter oder ein Dinosaurier vorkommen – am bestens alles gleichzeitig. „Typisch Junge“ würde unsere hochgeschätzte Uroma nun sagen. Mit ihrer Lebenserfahrung muss sie doch Recht haben, denken sich unbekannterweise auch viele Buchverlage und werfen blaue „Vorlesebücher für Jungs“ und rosa „Vorlesebücher für Mädchen“ auf den Markt – randvoll mit entsprechenden Klischees. Doch als Vater möchte ich eben nicht in diese Rosa-blau-Falle tappen. Statt plumpe Rollenklischees von fürsorglichen und sanftmütigen Frauen und starken, allwissenden Männern zu reproduzieren, würde ich meinem Sohn gerne vermitteln, dass nicht das Geschlecht darüber entscheidet, ob wir wild oder schüchtern sind oder ob wir gerne mit Puppen oder Dinos spielen.
Gastbeitrag: Bücher für Kinder brauchen keine Klischees
Jungs mögen Ritter und Piraten, Mädchen Feen und Einhörner?! Quatsch! Kinder mögen vor allem gute Geschichten.
Ja, es gibt Unterschiede
Dabei geht mir keinesfalls darum, Geschlechterunterschiede zu verleugnen. Im Kindergarten-Alter entdecken Kinder diese Unterschiede von ganz allein. In dieser Phase kommt es oft auch zu einer gewissen „Abgrenzung“ voneinander. Jungs spielen plötzlich lieber mit Jungs, Ältere lieber mit Älteren. Auch die Suche der eigenen Geschlechtsidentität ist in diesem Alter normal. Gleichzeitig sind Kinder im Vorschulalter immer mehr in der Lage, Menschen differenziert wahrzunehmen. Unterschiede werden wahrgenommen, aber es gibt deshalb keine Ausgrenzung oder Abwertung. Toleranz ist nun das Zauberwort. Und genau deshalb sollte sich auch die Komplexität von Lebenswelten und Charakteren in den Kinderbüchern widerspiegeln. Ein dazu passendes Buch, das bei uns auf viel Gegenliebe stieß, ist „Seeräubermädchen und Prinzessinnenjunge“ von Nils Pickert. Darin geht es um Seeräuberin Mara mit drei Enterhaken und ihrem Hund Landratte und um Prinzessinnenjunge Milo mit drei Krönchen und Puppe Lulu. Die beiden sind unzertrennlich: Mit Mara sticht Milo in See. Von Milo lernt Mara, dass manches besser wird, wenn es glitzert. Sie verbringen fast jeden Tag zusammen. Doch dann fährt Mara in den Urlaub ans echte Meer. Wie die lange Zeit ohne Milo verläuft und warum das erste Treffen etwas seltsam für alle verläuft, solltet ihr selbst nachlesen. Nur so viel: Das Buch ist eine wunderbare Geschichte für Kinder im Vorschulalter, ohne überpädagogisch oder anstrengend zu werden. Und es vermittelt die wichtige Botschaft, dass jedes Kind selbst sein kann, wie es ihm gefällt – abseits von Geschlechterklischees.
Kinderbücher sind ein prägendes Medium
Doch warum ist es so wichtig, dass es genau solche Bücher gibt? Ganz einfach: Bücher sind ein prägendes Medium für Kinder und bieten ihnen vielfältige Identifikationsmöglichkeiten. Wilde Mädchen sollten sich deshalb genauso wiederfinden wie stille, nachdenkliche Jungs – um beim Thema Geschlechter zu bleiben. Zusätzlich eröffnet Vielfalt in Kinder- und Jugendbüchern die Chance für den berühmten Blick über den Tellerrand. Kinder erfahren von Dingen außerhalb der eigenen Lebensrealität, bekommen die Möglichkeit andere Perspektiven einzunehmen und erleben, dass es vielfältige Entfaltungsmöglichkeiten innerhalb unserer Gesellschaft gibt. So können Bücher Werte wie Gleichberechtigung und Weltoffenheit vermitteln. Allerdings braucht es dafür keinesfalls den pädagogischen Holzhammer. Denn mal ehrlich: Niemand möchte seinem Kind ultrapädagogische, anstrengend geschriebene Bücher vorlesen, nur weil sie vielleicht eine gute Botschaft vermitteln. Das wäre den Kindern gegenüber unfair. Es sollen gute Geschichten sein, die zu den kindlichen Interessen passen – in unserem Fall sind das eben Ritter, Forscherinnen und Forscher, urzeitliche Tiere oder Fabelwesen. Genauso sollen es Geschichten sein, die eben keine zu harten Rollenklischees reproduzieren. Genau an diesem Punkt ist ein bisschen elterliche Recherche gefragt. Wir müssen uns als verantwortungsbewusste Eltern auf die Suche begeben, im Buchladen stöbern und blättern, nach Buchperlen suchen, die uns allen Spaß machen. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Es gibt kaum schönere Aufgaben, egal ob mit oder ohne Kind.
Auch Frauen erleben Abenteuer
Bei genau diesem Stöbern stieß ich zum Beispiel auf das wunderbar illustrierte Buch „Gute Nacht, Abenteurer!“. Darin werden 30 Gute-Nacht-Geschichten über Abenteuer erzählt, die Frauen und Männer wirklich erlebt haben. Es geht genauso um die Reisen von Alexander von Humboldt wie um die verrückte Weltumsegelung von Jeanne Baret vor über 250 Jahren. Unsere Lieblingsgeschichte ist übrigens die von Gorilla-Forscherin Dian Fossey. Ich persönlich mag die spannenden und kurzen Episoden, aber eben auch die Botschaft „Auch Frauen erleben Abenteuer, entdecken die Welt, erforschen Spannendes und das nicht erst seit heute“. Sicher kein Geheimtipp mehr, aber im Moment bei uns sehr beliebt, sind auch die Geschichten von Ritter Trenk. In den Büchern von Kirsten Boie geht es nicht nur um das Leben im Mittelalter, sondern eben auch um „Begrenzungen“ durch gesellschaftliche Regeln. Trenk darf eigentlich kein Ritter werden, weil er als Bauer geboren wurde. Auch seine Freundin Thekla wäre gerne eine Ritterin, als Mädchen darf sie das aber nicht. So viel sei verraten: Sie lassen sich beide von nichts entmutigen und erleben viele rittermäßige Abenteuer. Natürlich dürfen Bücher auch ganz „geschlechtslos“ sein – zum Beispiel, wenn es um Dinosaurier oder Fabelwesen wie Drachen oder Feen geht. Sie sind einfach universell liebenswert.
Mögen eure Kinder „typische“ Jungs oder Mädchengeschichten? Achtet ihr bei der Auswahl der Kinderbücher auf Rollenklischees? Und wenn ja, welche Geheimtipps habt ihr beim Stöbern in Buchläden zuletzt entdeckt? Verratet es uns in den Kommentaren!
Birk Grüling
Birk Grüling ist vormittags schreibender und nachmittags spielender und vorlesender Papa. Als freier Autor schreibt er nicht nur Texte für Kinder, sondern auch für Medien wie Spiegel Online, RND, Süddeutsche Zeitung, Eltern oder DAD über Väterrollen, frühe Kindheit und digitale Bildung. Leseliebe ist für ihn ... eine tolle Gelegenheit für gemeinsame Momente zum Kuscheln und Träumen.
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