Die Geschichten und Helden der Kinderbücher begleiten einen in der Regel ein Leben lang, unterstützen bei der Bewältigung schwieriger Situationen, schenken Inspiraiton und bereichern so den Alltag. Bücher bieten die Möglichkeit, sich an anderen zu orientieren, aus ihrem Verhalten zu lernen und eigene Bewältigungsstrategien (Coping-Strategien) zu entwickeln. Sie verhelfen dazu, das Selbstbewusstsein zu stärken, indem sie Wege aufzeigen, eine eigene Identität zu entwickeln. Die Fragen, „Wer bin ich?“ und „Wer will ich sein?“ können durch die Identifikation mit den Buch-Figuren beantwortet werden. Diese Identifizierung spornt an, motiviert und gibt in manch einer Situation Halt. Die Kinder lernen, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine sind, weil sie Geschichten lesen, in denen es anderen ähnlich geht. Ein Kind, dem regelmäßig vorgelesen wird oder welches regelmäßig selber liest, entwickelt zudem ein höheres Maß an Selbstwirksamkeitserleben und Kontrollglauben. Gleichzeitig bieten Bücher den Kindern die Möglichkeit, in eigene Welten abzutauchen, sich auf Phantasiereisen zu begeben und dem Alltag zu entfliehen. Das entlastet die kindliche Seele.
Gastbeitrag: Wie Bücher Kinder stark machen
Psychotherapeutin Anna Möller-Wolf erzählt, wie Geschichten für Kinder die kindliche Seele entlasten und stärken können.
Kinderbücher in der psychotherapeutischen Praxis
In meiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen spielen Bücher eine große Rolle. Immer wieder kommt es vor, dass ich Bücher nutze, um Situationen zu verdeutlichen oder einen Umgang mit bestimmten Lebenserfahrungen aufzuzeigen. Ein Beispiel:
Das kleine Wutmonster
Mit einem 6jährigen Jungen, der seine Wut in Auseinandersetzungen mit anderen Kindern nicht kontrollieren konnte, las ich das Buch „Das kleine Wutmonster“. Mit Hilfe des Buches bekam er eine Idee davon, dass man seine Gefühle steuern kann und ihnen nicht machtlos ausgeliefert ist. Im weiteren Verlauf spielten wir in Rollenspielen Situationen nach, in denen „das Wutmonster“ im Alltag des Jungen aufgetreten war und erarbeiteten alternative Handlungsstrategien. Der Junge konnte sich gut mit dem Kinderbuchhelden identifizieren. Das machte es ihm leichter, das in der Behandlung Erlernte auf den Alltag zu übertragen. Außerdem sorgte das neu erworbene Wissen über den Zusammenhang von Emotionen und Verhalten für eine innere Entlastung des Jungen und ein anderes Verständnis der Gesamtsituation. Auf Grundlage der so gestärkten Kinderseele konnte sich das Kind sicherer fühlen und einen anderen Umgang mit Konfliktsituationen zunächst ausprobieren und schließlich in den Alltag integrieren.
Kinderbücher entlasten und stärken
Durch verschiedene Geschichten kommen die Kinder mit unterschiedlichen moralischen Vorstellungen und kulturellen Aspekten in Kontakt, was ein weiterer wichtiger Aspekt in der Persönlichkeitsentwicklung ist. Lesen fördert außerdem soziale und emotionale Kompetenzen, indem es den Perspektivwechsel trainiert und eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Emotionen ermöglicht. Ein weiteres Beispiel aus meiner Praxis:
Der Baum der Erinnerung
Im Umgang mit einschneidenden Lebenserfahrungen wie Geburt oder Tod, Trennung und Scheidung bieten Bücher Problemlöse-Vorschläge und/oder helfen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Mit einem 8jährigen Mädchen erstellte ich nach dem Tod ihrer Oma im Rahmen der Behandlung einen eigenen „Baum der Erinnerung“. Die im Buch beschriebenen Perspektivwechsel konnten übernommen und nach und nach von jedem Familienmitglied eine positive Erinnerung gesammelt werden. Mit Hilfe von Büchern kann ich Kindern in solchen Fällen verdeutlichen, dass sie mit ihren Erfahrungen nicht alleine sind. Das macht Mut, stärkt, entlastet und fördert gleichzeitig die Emphathiefähigkeit.
Hast du schon einmal bemerkt, dass dein Kind durch ein Buch gestärkt wurde? Liest du bestimmte Bücher gezielt, um aktuelle Themen deines Kindes zu behandeln? Welche Kinderbücher sind für dich echte Seelen-Stärker? Schreib uns einen Kommentar!
Anna Möller-Wolf
Dipl. psych. Anna Möller-Wolf arbeitet seit Mai 2014 in einer eigenen Praxis als niedergelassene Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin mit dem Schwerpunkt Verhaltenstherapie. Davor war sie neun Jahre lang in verschiedenen Kinder- und Jugendkrankenhäusern im psychotherapeutischen Bereich tätig. Außerdem ist sie staatlich anerkannte Kinderkrankenschwester, KUGA®-Trainerin zum kontrollierten Umgang mit physischer Gewalt und Aggressionen und lesebegeisterte Dreifach-Mutter. Leseliebe bedeutet für sie, „Erfahrungen in der wunderbaren Welt der Bücher zu sammeln.“
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