Lindiwe Suttle Müller-Westernhagen über „Naya“

Leseliebe: Frau Suttle Müller-Westernhagen, Ende Juli 2024 erscheint mit „Naya“ Ihr erstes Kinderbuch. Wie sind Sie zu einer „Kinderbuchmacherin“ geworden?

Lindiwe Suttle Müller-Westernhagen: Es geschah ganz zufällig. Normalerweise schreibe ich Drehbücher für Film und Fernsehen und außerdem singe ich – manchmal zusammen mit meinem Mann Marius. Trotzdem habe ich vor einiger Zeit mit einer Frau über ein Konzept für ein Bilderbuch gesprochen. Ich hatte die Vision eines Buches, das Kindern beibringt, sich weder von Beleidigungen noch von Komplimenten beeinflussen zu lassen. Meine Gesprächspartnerin ging fälschlicherweise davon aus, dass ich das Manuskript bereits geschrieben hätte, und bot mir an, es weiterzugeben. Obwohl es zu diesem Zeitpunkt nur eine Idee war, spornte mich ihr Interesse an. Noch am selben Abend ging ich nach Hause und schrieb „Naya“…

Leseliebe: Was macht ein gutes Kinderbuch für Sie aus?

Lindiwe Suttle Müller-Westernhagen: Die Bücher, die meine Nichte Naya liebte, waren immer sehr humorvoll und sie enthielten eine gute Botschaft. Genau so soll auch mein Buch sein. Ich wünsche mir, dass „Naya“ Kinder dazu inspiriert, Bestätigung in sich selbst zu finden, und es ihnen vor Augen hält, wie wichtig Freundinnen und Freunde sind.

Leseliebe: Wie sind Sie an Ihr Buchprojekt herangegangen? War zuerst die Idee für die Geschichte da oder der Wunsch, Kindern etwas Bestimmtes vermitteln zu wollen?

Lindiwe Suttle Müller-Westernhagen: Die Geschichte ist inspiriert von der echten Freundschaft zwischen meiner Nichte Naya und ihrer besten Freundin Ella, die mit Diabetes lebt. Mein Ziel war es, Ella als resilientes und selbstbewusstes Kind darzustellen, das Naya wertvolle Lektionen vermittelt. Naya lernt von Ella aber nicht nur durch Beobachtung, sondern vor allem durch die starke Freundschaft, die die Mädchen verbindet. Indem die Naya im Buch unabhängig von den Äußerungen anderer Menschen wieder Vertrauen in sich selbst schöpft und sich lieben kann, wie sie ist, vermittelt sie den Kindern Selbstvertrauen. Ich glaube, besonders in diesen Zeiten, in denen die Spaltung von Gesellschaften so stark im Fokus steht, ist es wichtig, die Bindung zu einer Person hervorzuheben, die als „anders“ wahrgenommen wird. Die Freundschaft ist für beide Charaktere enorm bedeutend und wertvoll.

Leseliebe: In „Naya“ geht es darum, sich nicht so sehr davon beeinflussen zu lassen, was andere Leute über einen sagen oder denken. Erklären Sie doch gerne kurz, warum das für Sie ein so großes Anliegen ist!

Lindiwe Suttle Müller-Westernhagen: Meine Nichte Naya strahlte Selbstvertrauen aus und wurde häufig für ihr wunderschönes Haar gelobt. Doch eines Tages, nachdem sie ein weiteres Kompliment erhalten hatte, drehte sie sich zu mir um und verdrehte die Augen. Als ich sie fragte, ob sie die Komplimente satthätte, bejahte sie dies und drückte den Wunsch aus, dass die Leute zu irgendetwas anderem Stellung beziehen sollten. Sie war doch so viel mehr als ihre Haare! Leider wurde dieser Wunsch auf eine ganz andere Art und Weise erfüllt. Ein Kind in der Schule beleidigte Nayas Haare vor der ganzen Klasse. Das entmutigte sie und ließ sie zögern, ihre voluminösen Locken zur Schau zu stellen.

Im Gegensatz dazu gab es in meiner eigenen Kindheit gar keine Komplimente. Da es mir an Selbstvertrauen mangelte und ich gemobbt wurde, freute ich mich über jedes seltene Lob, das ich erhielt, da es mein Selbstwertgefühl stärkte. Als ich über Nayas Reaktion auf die Beleidigung nachdachte und sie mit meinem eigenen verzweifelten Bedürfnis nach Komplimenten verglich, kam mir die Idee für ein Buch. Dieses Buch soll Kindern beibringen, eine „Schnurzpiepegal“-Denkweise anzunehmen. Sich also weder von Lob noch von Kritik beeinflussen zu lassen, sondern sich selbst zu lieben und unabhängig von externen Kommentaren Selbstvertrauen zu bewahren.

Leseliebe: Beim Lesen Ihres wunderschön bebilderten Kinderbuchs entdeckt man eine bunte Vielfalt an Kindern. Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach, dass Kinderbücher Diversität und Toleranz fördern?

Lindiwe Suttle Müller-Westernhagen: Sawyer Cloud hat die reiche Vielfalt unserer Welt meisterhaft dargestellt. Für Kinder ist es wichtig, in den Geschichten, die sie lesen, ein Spiegelbild ihrer selbst zu sehen. Es gibt uns in einer Vielzahl von Formen, Farben und Größen, und wenn sich ein Kind visuell mit einer Figur identifizieren kann, die ihm ähnelt, gewinnt das Buch deutlich an Wirkung. 

Leseliebe: Nayas Freundin Ella hat den Mut, zu sich selbst zu stehen und inspiriert damit auch Naya. Denken Sie, auch Kinderbücher können so etwas wie inspirierende Freunde für einen sein?

Lindiwe Suttle Müller-Westernhagen: Bücher haben die Kraft, Denkweisen zu verändern und die Tür zu neuen Welten zu öffnen. Als ich „Naya“ schrieb, wurde mir klar, dass ich auch etwas für mein jüngeres Ich schuf, die weniger selbstbewusste Lindiwe, die diese Art von Bestätigung brauchte. Selbst jetzt, als Künstlerin, ist die Suche nach Selbstbestätigung eine Reise, auf die ich mich ständig begebe. Ich glaube, je früher ein Kind lernt, Vertrauen in sich selbst zu fassen und sich anzunehmen und zu lieben, desto selbstbewusster und selbstsicherer wird es als erwachsener Mensch.

Leseliebe: Wie haben Sie mit Sawyer Cloud, der Illustratorin von„Naya“, zusammengearbeitet? Was hat es zum Beispiel damit auf sich, dass Sie auf Ihrem Profilfoto in den sozialen Medien einen weißen Cowboyhut tragen und Naya ebenfalls?

Lindiwe Suttle Müller-Westernhagen: Ich schulde meiner Lektorin Marlen Bialek große Anerkennung, die maßgeblich dazu beigetragen hat, für „Naya“ ein vielfältiges und rein weibliches Team zusammenzustellen. Ihr Engagement stellte sicher, dass das Projekt unsere gemeinsame Vision wirklich widerspiegelte. Der Cowboyhut in der Geschichte symbolisiert die echte Bindung, die ich mit Naya teile. Meine Liebe zu Country-Musik und Cowboyhüten war schon immer ein Teil von mir, und als Naya klein war, zeichnete sie oft Bilder von mir, immer mit Hut. Mein Profilbild in den sozialen Medien ist tatsächlich ein Selbstporträt aus einem Fotokurs, das diesen Aspekt meiner Identität zeigt.

Leseliebe: Was ist Ihr größter Wunsch als Kinderbuchmacherin rund um das Thema „Kinder und Lesen“?

Lindiwe Suttle Müller-Westernhagen: Ich hoffe, dass jedes Kind die Möglichkeit hat, auf Bücher zuzugreifen, sei es über eine Bibliothek oder eine andere Ressource, damit es die Welt der Literatur kostenlos genießen kann.

Leseliebe: Welches Kinderbuch oder welche Lese-Situation hat in Ihrer eigenen Kindheit einen Eindruck hinterlassen, der bis heute nachwirkt und warum?

Lindiwe Suttle Müller-Westernhagen: Aschenputtel war mein Lieblingsbuch, weil sie nicht dazu bestimmt war, eine Prinzessin zu werden. Da ich in einem überwiegend weißen Viertel aufwuchs, das einzige schwarze Mädchen war, das Tennis spielte, und eine berühmte Mutter hatte, hatte ich oft das Gefühl, nicht dazuzugehören. Obwohl es Aschenputtel im Nachhinein an Entscheidungsfreiheit mangelte und die Geschichte nicht besonders feministisch ist, habe ich als Kind eine tiefe Bindung zu ihr aufgebaut, weil auch sie erst nicht dazu gedacht war, etwas Großes zu werden.

Leseliebe: Ergänzen Sie doch netterweise den folgenden Satz für uns: Leseliebe ist …

Lindiwe Suttle Müller-Westernhagen:  …, sich selbst in einem Buch zu sehen.