Die „Bilderbuch“-Familie besteht allzu oft aus Mama, Papa und zwei Kindern. Die Frau bleibt zu Hause, Papa geht arbeiten, in Anzug und bis spät am Abend. Viele Kinderbücher zeigen noch immer dieses sehr traditionelle Familienbild. Inzwischen stoßen mir als Vater solche Klischees fast schon bitter auf. Immerhin kommen sie auch in unseren aktuellen und vergangenen Lieblingsbüchern vor – bei Bobo Siebenschläfer zum Beispiel, Leo Lausemaus oder auch bei Conni. Wäre da nicht die große Begeisterung meines Kindes, hätte ich die Bücher schon längst aus dem Kinderzimmer verbannt. Schließlich hat sich die Welt längst weitergedreht. Gleichgeschlechtliche Paare können offen zusammenleben und die Verantwortung für Kinder übernehmen. Durch die lange überfällige „Ehe für alle“ wurde dieser Status zusätzlich gestärkt. Ähnliches gilt für die Patchworkfamilie, als ein inzwischen sehr anerkanntes und von knapp 15 Prozent aller Familien gelebtes Modell. Nicht zu vergessen: Alleinerziehende. Jedes fünfte Kind lebt alleine bei seiner Mutter oder dem Vater. Gut, davon weiß mein Dreieinhalbjähriger Sohn noch nicht viel, trotzdem darf es in den Büchern ruhig etwas bunter zu gehen. Schließlich stößt selbst unsere eher klassische Kleinfamilie schon an Kinderbuch-Grenzen. Als freier Autor mit flexiblen Arbeitszeiten übernehme ich das Bringen und Abholen in die Kita und verbringen die Nachmittage oft mit Vorlesen oder auf dem Spielplatz. Beim Kita-Geburtstag bin ich oft für Muffins zuständig. Damit wäre ich in Kinderbuchlogik so etwas wie Connis Mutter – nur weniger engagiert und weniger talentiert beim Backen.
Gastbeitrag: Wie bunt sind Kinderbuch-Familien heute?
Familien sind bunt und vielfältig. Genau das sollte sich auch in Kinderbüchern wiederfinden. Tut es das?
Väter werden aktiver im Kinderbuch
Doch zum Glück gibt es auch Alternativen auf dem Buchmarkt. Die Zwillinge aus „Das doppelte Lottchen“ wurden früh getrennt. Luise wohnt bei ihrem Papa in Wien und Lotte bei der Mutter in München. Pippi Langstrumpf lebt sogar alleine und Willi Wiberg offensichtlich bei seinem alleinerziehenden Vater. Mein Favorit – in Sachen aktiver Vaterschaft – sind die „Papa und Paul“-Bücher von Susanne Weber. Pauls Papa kocht, macht Ausflüge mit seinem Sohn und holt ihn vom Kindergarten ab. Die Mutter arbeitet in Vollzeit. Das Magazin „Bücher“ schrieb in der Rezension zum ersten Band, die Bücher seien perfekt für die Generation der „Neuen Väter“. Was mir besonders gefällt, ist die Beiläufigkeit. Paul verbringt die Nachmittage eben mit seinem Vater. Das ist kein Problem, das ist nichts Besonderes. Im Mittelpunkt stehen andere Dinge. Zum Beispiel schaffen sich Vater und Sohn eine Schnecke als Haustier an oder halten die Füße in den See und beobachten dabei die kleinen Fische. Diese sehr alltäglichen Abenteuer liebt mein Sohn, vielleicht auch, weil wir sie ohne Probleme umsetzen können und Tiergeschichten sowieso immer gehen. Natürlich braucht es nicht immer gleich ein ganzes Papa-Sohn-Buch. Wenn sich zum Bespiel in „Max geht zum Kinderarzt“ Mama und Papa mit dem Zuhause bleiben abwechseln, ist das gelebte Gleichberechtigung. Und während ich mich über solche kleinen Details freue, werde ich von meinem Sohn fachkundig mit dem Spielzeug-Arztkoffer verarztet.
Vielfalt ist Normalität
Ein positiver Trend: Die entspannte Beiläufigkeit lässt sich auch für andere Familienkonstellationen wie Regenbogen-Eltern, Alleinerziehende oder Patchwork-Familien ausmachen. Sie tauchen in immer mehr Büchern als selbstverständlicher Teil der Handlung auf und werden immer seltener als Problem oder Konfliktfeld thematisiert. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist die „Familie Flickenteppich“. In der relativ neuen Kinderbuchreihe geht es um ein sehr buntes Mietshaus. Hier leben Eltern mit und ohne Migrationshintergrund, ein alleinerziehender Vater, ein queeres Paar, ältere Menschen – erzählt wird davon ganz ohne klischeehafte Zuspitzung oder pädagogischen Zeigefinger. Für Kinder finde ich das immens wichtig. Immerhin sollten wir unserem Nachwuchs die Werte einer weltoffenen und toleranten Gesellschaft vermitteln und ihnen zeigen, dass es vielfältige Entfaltungsmöglichkeiten gibt. Dafür braucht es natürlich keinen pädagogischen Holzhammer, sondern in erster Linie spannende Geschichten. Auch Pippi ist ein wildes und unangepasstes Mädchen, das abseits aller Konventionen lebt – früher und heute. Meinem Sohn muss ich ihre Geschichten natürlich nicht vorlesen, weil ihm ihr Rollenbild gefällt, sondern weil sie spannend und toll geschrieben sind.
Kinderbücher bieten einen Blick über den Tellerrand
Und mal ehrlich: Versuchen Kinderbücher zu stark die Vielfalt zu betonen, zu stark zu pädagogisieren, wirkt das schnell angestrengt und unnötig verkrampft. Tritt die Vielfalt dagegen als Normalität auf, sind Kinderbücher ein großartiger Weg, um Kindern Werte wie Toleranz und Diversität zu vermitteln. Schließlich sind Bücher ein wichtiges und prägendes Medium. Und ihre Helden bieten wichtige Identifikationsmöglichkeiten. Ein gelungenes Beispiel dafür ist die zu Recht vielfach ausgezeichnete Reihe „Rico, Oskar und die Tieferschatten“. Die Titelhelden sind ungewöhnlich, leben in ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus. Trotzdem leben die Geschichten von der Spannung des Kriminalfalls und nicht von der Milieu-Studien. Doch solche tollen Kinderbücher können noch mehr. Sie bieten die Chance für den vielzitierten Blick über den Tellerrand. Kinder erfahren von Dingen außerhalb der eigenen Lebensrealität und bekommen die Möglichkeit eine andere Perspektive einzunehmen. Auch das ist immens wichtig und überaus bereichernd.
Kein Platz für Entweder-oder-Debatten
Leider stößt Diversität in Kinderbüchern auch immer wieder auf Ablehnung. Pippi Langstrumpf galt mit ihrer unangepassten Art lange als Gefahr für die Kinder. Noch heute werden in manchen Teilen der USA Kinder- und Jugendbücher mit queeren Themen aus Bibliotheken verbannt und auch in Deutschland laufen erzkonservative Kreise Sturm gegen die Thematisierung von (Homo–)Sexualität in Kita und Grundschule. Dass diese „Entweder-oder-Debatte“ der absolut falsche Ansatz ist, muss ich an dieser Stelle wohl kaum erwähnen. Nur weil Kinderbücher Vielfalt in der Familie thematisieren, stirbt das vermeintlich traditionelle Mutter-Vater-Kind-Modell ja nicht aus. Und überhaupt geht es um viel mehr als die Verteidigung vermeintlich traditioneller Werte: Es geht hier um das Abbilden einer kindlichen Lebenswirklichkeit – und die ist heute nun mal vielfältig und bunt, nicht nur schwarz-weiß. Und das ist auch gut so!
Habt ihr eine Lieblings-Kinderbuch-Familie? Findet ihr eure Lebensrealität im Kinderbuch repräsentiert? Achtet ihr bei der Auswahl der Kinderbücher auf Vielfalt? Verratet es uns in den Kommentaren!
Birk Grüling
Birk Grüling ist vormittags schreibender und nachmittags spielender und vorlesender Papa. Als freier Autor schreibt er nicht nur Texte für Kinder, sondern auch für Medien wie Spiegel Online, RND, Süddeutsche Zeitung, Eltern oder DAD über Väterrollen, frühe Kindheit und digitale Bildung. Leseliebe ist für ihn ... eine tolle Gelegenheit für gemeinsame Momente zum Kuscheln und Träumen.
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