geheimnisvoll – emotionsgeladen – sagenhaft

Ava, die Hauptfigur in diesem atemberaubenden Jugendbuch, ist eine willensstarke und kluge Siebtklässlerin. In ihrer Klasse gilt sie jedoch als Außenseiterin „Aggro-Ava“, weil sie ihre Wut nicht im Griff hat und ständig ausflippt. Ihre Mutter hat ihr deshalb Techniken beigebracht, um ihre Gefühle zu besänftigen. Doch eines Tages kann sie sich nicht mehr beherrschen und lässt einen rücksichtslosen Klassenkameraden zu Stein erstarren. Nach diesem Vorfall werden Ava und ihr älterer Bruder Jax von ihren Eltern zur „Accademia del Forte“ gebracht. Dieses geheimnisvolle Internat befindet sich in einem alten Palazzo in Venedig und wurde einst von den Göttern des Olymps gegründet. Hier erfahren die beiden Geschwister, dass sie die Nachfahren mythologischer Monster sind und lernen sollen, ihre Kräfte zu beherrschen. Zunächst ist Ava überglücklich, denn sie liebt die griechische Mythologie, und hier kann sie die Lehrerschaft mit ihrem Wissen begeistern. Doch bald merkt sie, dass die Schule ein gefährliches Geheimnis birgt.

In dieser von Jennifer Michalski brillant übersetzten Coming-of-Age-Geschichte verknüpft Katherine Marsh die antike Sagenwelt gekonnt mit einer modernen Internatsgeschichte. Ihr fesselnder und bildhafter Schreibstil erweckt dabei die antiken Überlieferungen zum Leben und zieht Lesende ab 10 Jahren in ihren Bann. Erzählt aus der Perspektive der Hauptfigur Ava, betont diese 320 Seiten starke Fantasy-Geschichte modernen Themen wie Identität, Ausgrenzung und Gerechtigkeit. Denn Ava und ihre Vorfahrin Medusa sind Außenseiterinnen, gefangen in den Zwängen ihrer jeweiligen Umgebung. Ava fungiert dabei als verbindendes Element zwischen beiden Welten und erleichtert dadurch das Verständnis der manchmal sehr detailliert beschriebenen Mythen. Ein alphabetisch sortiertes Glossar am Buchende bietet hier jedoch eine hilfreiche Orientierung. Daneben sorgen die lebendig beschriebenen Nebenfiguren für eine ordentliche Portion Humor und verleihen der Geschichte mehr Tiefe und Herz. Selbst die mächtigen Gottheiten und furchterregenden Kreaturen bieten viele Gelegenheiten zum Schmunzeln – sorgen aber gleichzeitig für erschreckende Gänsehautmomente. Ein gelungener Auftakt dieser temporeichen Fantasy-Serie.

Dieser erste Band beeindruckt mit einer frischen Neuinterpretation antiker Göttersagen. So wird die schlangenhaarige Medusa hier nicht als grausames Monster, sondern als Wächterin und Beschützerin dargestellt, die mit ihrem Schicksal kämpft. Der alten Sage nach wurde ihr dieses Schicksal durch die Macht männlicher Gottheiten des Olymps auferlegt – Frauen spielten nur eine untergeordnete Rolle. Hier regt die Autorin dazu an, die althergebrachten Sagen kritisch zu hinterfragen. Denn Geschichten prägen die Art und Weise, wie wir die Welt und die Menschen darin sehen. In diesem Jugendroman wurde die Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen als zentrales Element gewählt. Avas Schlüsselmoment kommt, als der strenge Internatsdirektor Avas Freundin Fia ihre Stimme raubt. Durch diese Grausamkeit erwacht plötzlich ihre wahre Identität und Stärke und es gelingt ihr, sich ihren Ängsten zu stellen. Diese Fantasy-Geschichte ist ein starkes Plädoyer für die Selbstbehauptung von Frauen und Mädchen – sowohl in der antiken als auch in der modernen Welt.

Wie gefallen deinem Kind Bücher über antike Sagen? Ist dein Kind ein richtiger Bücherwurm oder liest es eher weniger? Welche anderen Jugendbücher erwecken das Interesse deines Kindes noch? Schreib uns einen Kommentar!