Artikel: Kinderbuchmacherin Juli Zeh im Interview
 

Juli Zeh über Kinderbücher, Weihnachten & mehr

Wie schreibt die Bestseller-Autorin ihre Geschichten? Was mag sie an Weihnachten? Leseliebe hat sie interviewt!

Leseliebe: Frau Zeh, Sie haben in Jura promoviert, noch nebenbei am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert, sind politisch aktiv und behandeln in Ihren sehr erfolgreichen Erwachsenenbüchern gewichtige Themen wie Gesellschaft, Recht oder Moral. Dafür haben sie zahlreiche Preise erhalten bis hin zum Bundesverdienstkreuz. 2008 ist dann ihr erstes Kinderbuch „Das Land der Menschen“ erschienen. Was hat Sie veranlasst, auch noch ‚Kinderbuchmacherin‘ zu werden und wie bewältigen Sie das alles, zumal Sie auch noch Mutter sind?

Juli Zeh: Eigentlich habe ich mich nie entschieden, für bestimmte Zielgruppen zu schreiben. Ich erzähle gerne Geschichten – und manche passen besser für Erwachsene, manche für Kinder. Zur Zeit arbeite ich an einem Text, der möglicherweise ein Jugendbuch wird. Anscheinend habe ich alle Altersstufen in mir. Das Schreiben ist für mich keine Arbeit, die man irgendwie bewältigen muss. Im Gegenteil, eigentlich ist es in meinem Alltag die Beschäftigung, die mich am wenigsten Kraft kostet. Deshalb gibt es da auch keine Strategien. Ich versuche, jeden Tag so einzurichten, dass ich ein bis zwei Stunden Zeit zum Schreiben habe. Mehr brauche ich gar nicht.

Leseliebe: Mit „Alle Jahre wieder“ haben Sie dann eine ganz und gar ungewöhnliche Weihnachtsgeschichte für Kinder geschrieben. Warum gerade eine Weihnachtsgeschichte?

Juli Zeh: Das liegt daran, dass für mich früher – wie wahrscheinlich für viele Kinder – Weihnachten der wichtigste Tag im ganzen Jahr war. Natürlich ging es um Geschenke, aber es ging auch um den Mythos, um diese magisch aufgeladenen Tage, an denen man plötzlich an Dinge glauben darf, zum Beispiel an das Christkind. Auch für meine Kinder ist Weihnachten sehr wichtig, und sie haben bis vor Kurzem auch noch an das Christkind geglaubt. Deshalb war es für mich sehr naheliegend, einmal eine Geschichte zu schreiben, in der es um diese ganz besondere Zeit im Jahr geht.

Interview Juli Zeh Bild 2 aus "Alle Jahre wieder"

Leseliebe: Was ist Ihnen an Weihnachten wichtig? Ist es für Sie als Autorin dasselbe wie für Sie als Mutter beziehungsweise als Teil einer Familie?

Juli Zeh: Als Mutter ist Weihnachten vor allem Arbeit, das muss ich ganz ehrlich sagen. Die ganze Vorweihnachtszeit mit den unzähligen Feiern und Einladungen und Geschenken, die vorbereitet werden müssen, mit Adventskalendern, Bastelarbeiten und den guten alten Plätzchen … Das ist schon irrsinnig. Mein Eindruck ist, dass man da von Seiten der Institutionen – Schule, KiTa, Sportverein – inzwischen auch viel zu viel von den Familien erwartet. Der Weihnachtsabend selbst ist dann immer sehr schön, aber die Zeit davor … Ehrlich gesagt bin ich jedes Jahr froh, wenn es vorbei ist.

Interview Juli Zeh Bild 3 aus "Alle Jahre wieder"

Leseliebe: Sie haben das Schreiben mal als eine Kommunikation mit sich selbst bezeichnet. Wie funktioniert das für Sie?

Juli Zeh: Eigentlich ist es immer ähnlich – ich habe eine Idee, die mich elektrisiert, und dann geht es los. Meistens ist diese Idee irgendein Bauteil der Geschichte. Zum Beispiel eine Figur. Oder eine Anfangsszene. Manchmal fällt mir auch zuerst das Ende ein. Dann spinne ich in Gedanken von diesem Punkt aus die Fäden immer weiter – vorwärts oder rückwärts oder seitwärts, das ist egal. Inzwischen habe ich auch keine Angst mehr, mich zu verheddern. Ich kann ziemlich viele „Spielzüge“ im Kopf behalten, vielleicht so ähnlich wie ein Schachspieler. Naja, und das Aufschreiben ist dann so ähnlich, als würde man sich in der eigenen Phantasie einen Film ansehen, von dem man schon mal irgendwie gehört hat.

Leseliebe: In einem anderen Kinderbuch „Jetzt bestimme ich, ich, ich“ erklären Sie das Prinzip der Demokratie an einer Beispielgeschichte. Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach, dass Kinderbücher Fragen der Politik und des gesellschaftlichen Miteinanders vermitteln?

Juli Zeh: Das finde ich grundsätzlich nicht so wichtig. Wenn man eine spannende Geschichte erzählt, die berührt und mitreißt, dann hat das ohnehin immer mit menschlichem und gesellschaftlichem Miteinander zu tun – sonst würde es uns nämlich gar nicht interessieren. Mir ist aber aufgefallen, dass viele Menschen überhaupt nicht wissen, was Demokratie eigentlich ist. Sie erwarten alles Mögliche von Demokratie, z.B. Gerechtigkeit, Wohlstand, Frieden, vielleicht sogar Glück – dabei ist Demokratie in allererster Linie ein Entscheidungsverfahren. Eine Technik, wie man gemeinsam Entscheidungen trifft. Ich hatte Lust, das am Beispiel einer Familie mit Kindern einmal durchzuspielen. Denn nirgendwo sind Entscheidungen ja so umstritten wie im Zusammenleben mit Kindern!

Interview Juli Zeh Bild 6 aus "Alle Jahre wieder"

Leseliebe: Was macht ein gutes Kinderbuch für Sie aus?

Juli Zeh: Eigentlich das Gleiche wie bei einem Erwachsenenbuch. Es sollte spannend sein und eine eigene Welt erschaffen, die so spannend ist, dass man alles um sich herum vergisst. Bei Kinderbüchern finde ich zusätzlich wichtig, dass sie nicht verstörend sind. Das gilt auch für die Illustrationen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass sich bei den Illustrationen in Kinderbüchern eher ein Künstler selbst verwirklichen will, als tatsächlich an die empfindliche Wahrnehmung von Kindern zu denken. Dann sagen vielleicht Erwachsenen: Oh, so ein tolles und anspruchsvolles Buch – aber Kinder kriegen dann Alpträume davon.

Leseliebe: Welches Kinderbuch oder welche Lese-Situation hat in Ihrer eigenen Kindheit einen Eindruck hinterlassen, der bis heute nachwirkt und warum?

Juli Zeh: Meine Mutter hat mir sehr viel vorgelesen, von daher könnte ich jetzt viele Eindrücke schildern. Eins der wichtigsten Bücher für mich war „Schnüpperle“ – in der Weihnachtszeit wurde jeden Tag ein Kapitel vorgelesen, wie bei einem Adventskalender. Ich kannte das Buch längst auswendig und wollte es trotzdem jedes Jahr wieder hören. Wenn meine Mutter beim Lesen einen Fehler machte, wurde sie sofort gnadenlos korrigiert. Die Bücher waren gewissermaßen heilig – es durfte kein Wort vergessen, keine Silbe falsch betont werden.

Leseliebe: Sie haben einen magischen Wunsch frei und dürfen drei Bücher bestimmen, die jedes Kind auf der Welt in seiner Kindheit liest. Was für Bücher sind das?

Juli Zeh: „Die unendliche Geschichte“, ein Buch mit den Sagen des klassischen Altertums in kindgerechter Nacherzählung und dann vielleicht noch die Märchen von Wilhelm Hauff.

Leseliebe: Welche Rolle spielt das Vorlesen für Sie als Mutter? Denken Sie, als Autorin liest man den eigenen Kindern Bücher anders vor, als es Eltern ohne Fachwissen tun?

Juli Zeh: Nein, auf keinen Fall. Zum Vorlesen braucht man einfach nur ein Herz voller Liebe sowie Spaß an Geschichten. Es ist völlig egal, wie man das liest, ob man es gut liest, ob man sich verspricht oder vielleicht manches nicht versteht. Es kommt einfach darauf an, dass man gemeinsam die Nase in ein Buch steckt und sich bezaubern lässt.

Interview Juli Zeh Bild 5 aus "Alle Jahre wieder"

Leseliebe: Ergänzen Sie doch netterweise den folgenden Satz für uns: Leseliebe ist …

Juli Zeh: … wenn man einen Ort kennt, an dem man immer glücklich sein kann. Dieser Ort heißt Phantasie.

Autorin

Juli Zeh

Juli Zeh ist zweifache Mutter, promovierte Juristin, ehrenamtliche Richterin und Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Leipzig. Ihr erster Roman erschien 2001 und bildete den Anfang einer extrem erfolgreichen Schriftstellerinnenkarriere. Sie schreibt Romane, Essays, Kurzgeschichten, Theaterstücke und Kinderbücher und wurde dafür vielfach ausgezeichnet. 2018 erhielt sie sogar das Bundesverdienstkreuz.

Autorin Juli Zeh

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