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Interview: Lesen im Kindergarten

Was sind die beliebtesten Bücher und Vorleserituale im Kindergarten? Wir haben bei unserer Leseliebe-Expertin nachgefragt! 

Leseliebe: Was ist der pädagogische Hintergedanke beim Lesen im Kindergarten? 

Sandra Schmidt: Momentan ist die Sprachentwicklung das A und O. Ganz massiv geht es auch um die Förderung von Empathie, weil die Kinder sich sehr stark mit den Charakteren identifizieren. 

Leseliebe: Wie kann man sich das Vorlesen in der Krippe vorstellen?

Sandra Schmidt: Man holt die Bücher raus und schon hat man eine Traube von Kindern um sich herum. Wir lesen überwiegend in der Kuschelecke und sitzen mittendrin. Meistens braucht man dann gar nicht mehr selber alles lesen, sondern fängt den Satz an und die Kinder beenden ihn. Damit die Kinder die ganze Zeit das Bild sehen, lese ich über Kopf. Das funktioniert natürlich am besten, wenn wir die Bücher schon zwanzig Mal gelesen haben.  

Es gibt aber keine Vorgaben für das Vorlesen. Das macht jeder so, wie er es am besten kann. Zum Beispiel ist eines der Lieblingsbücher der Kinder Pip und Posy. Das hat eine Kollegin in Farbe kopiert, die Figuren ausgeschnitten und Figuren mit Stäben daraus gemacht. Dann hat sie die Geschichte als Theaterstück vorgespielt.  

Leseliebe: Wer sucht die Bücher für die Vorlesezeit aus?

Sandra Schmidt: Die Kinder. Wir nehmen einen Stapel und dann entscheiden die Kinder, welches als erstes drankommt. Eigentlich wollen sie immer alle lesen. Eine halbe Stunde kann so eine Vorlesezeit deswegen schon dauern.  

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Leseliebe: Gibt es bei Ihnen im Kindergarten besondere Aktionen rund ums Vorlesen?

Sandra Schmidt: Am bundesweiten Vorlesetag fordern wir jedes Kind auf, sein Lieblingsbuch mitzubringen, oder auch zwei oder drei. Dann ziehen sich mehrere Erzieherinnen mit kleinen Gruppen von Kinder zurück. Jeder liest dann irgendwo und zwischendurch tauschen wir die Bücher und die Kinder wechseln die Gruppe 

Leseliebe: Wie viel Platz finden Bücher bei euch in der Krippe?

Sandra Schmidt: Wir haben drei Bücherregale übereinander mit insgesamt knapp dreißig Büchern. An die unteren beiden Regale dürfen die Kinder selber. An das dritte Regal kommen sie nicht ran. Das sind die Bücher, die wir nur gemeinsam lesen, weil sie teuer waren und wir etwas aufpassen müssen. Bücher, die gerade besonders interessant sind, stellen wir auf der Fensterbank aus. 

Leseliebe: Was für Bücher lesen die Kinder in Krippe und Elementarbereich?

Sandra Schmidt: Krippenkinder brauchen keine große Auswahl, sondern Bücher, die ihre eigene Lebenswelt begreifen. Was immer geht, sind Tiere und Fahrzeuge. Auch Farben und Formen sind heißbegehrt oder Mitmachbücher. Krippenkinder wollen aktiv mit den Büchern zu tun haben und sich einbringen. Dazu ist Pip und Posy der Knaller. Die Details sind so toll, dass man ganz, ganz viel ins Gespräch damit kommt. 

Elementarkinder mögen schon eine größere Auswahl an thematischen Büchern: Jungs Fußball und Piraten, Mädchen Feen und Prinzessinnen und so weiter. Ich habe auch das Gefühl, dass die lieber vorgelesen bekommen, als selber etwas machen zu müssen. Die schwelgen dann in der Geschichte und genießen es, wenn man sich mit ihnen aufs Sofa kuschelt und liest und liest und liest. Vor allem Bücher mit ganz viel Text und richtigen Geschichten.  

Was auch immer sehr gut ankommt, sind Reime. Und gerade Elementarkinder interessieren sich unheimlich für Bücher, in denen Lieder vorkommen. 

Leseliebe: Wie gehen Krippenkinder mit dem Thema Lesen um?

Sandra Schmidt: Die Kleinen, die so ein bis eineinhalb Jahre alt sind, die gucken sich mal zwei Seiten an und dann kauen sie eher an den Kanten herum. Krippenkinder um die zwei Jahre betrachten Bücher schon intensiver. Gerade die Mädchen fiebern beim Vorlesen richtig mit. Wenn die da sitzen und die Bücher angucken, dann ist das für die nicht: Ich lese denen ein Buch vor. Die erleben das.  

Es gibt natürlich auch Kinder, die stehen beim Vorlesen auf, weil etwas anderes interessanter ist. Dann ist das halt gerade nicht deren Thema. Manche Kinder lesen auch generell lieber alleine. Die machen dann genau das, was wir schon beim Vorlesen mit ihnen gemeinsam gemacht haben, also an die Tür klopfen oder streicheln und fühlen sich massiv gestört, wenn jemand mit in das Buch hineingucken will. Auch beim Lesen zu Hause spielen die Kinder uns nach. Die setzen sich ihre Kuscheltiere hin und machen genau das Gleiche, was wir mit den Kindern machen. Und dadurch dass meine Kollegin und ich sehr wertschätzend an Bücher herangehen, überträgt sich das auch auf die Kinder. Wir sind ja in einer wahnsinnigen Vorbild-Funktion. 

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Leseliebe: Wie kommen die Bücher in den Kindergarten?

Sandra Schmidt: Wir arbeiten mit einer Buchhandlung zusammen, von der wir regelmäßig Bücher ausstellen. Die können die Eltern dann über den Kindergarten bestellen. Dafür dürfen wir uns immer ein Buch aussuchen. Dann haben wir aber auch einen Gruppen-Etat, wo wir selber schalten und walten dürfen. Und wir haben viele Eltern, die uns unterstützen und uns kostenlos die Bücher bringen, die ihr Kind nicht mehr liest.  

Elementarkinder gehen außerdem regelmäßig in die Bücherei und jedes Kind darf immer sein Lieblingsbuch mit in die Einrichtung nehmen. Das wird sehr wertgeschätzt und das mitgebrachte Buch auf jeden Fall an dem Tag gelesen. 

Leseliebe: Gibt es Bücher, die in jedem Kindergarten da sein müssen?

Sandra Schmidt: Definitiv. „Die Raupe Nimmersatt muss immer sein. Gute Nacht, Gorilla auch. Das ist ganz toll! Sogar als Erwachsener, entdeckt man jedes Mal ein neues Detail. Pip und Posy ist unser absolutes Favourite-Buch. Und Mitmachbücher müssen auch immer da sein 

Leseliebe: Was halten Sie von Büchern, die auf den Kindergarten vorbereiten sollen?

Sandra Schmidt: Das ist vor allem für Kinder wichtig, die vorher nicht in der Krippe waren und mit drei in den Elementarbereich kommen. Ich glaube, eine charakteristische Geschichte mit einem Protagonisten, mit dem man mitfühlen kann, kann vielen Kindern wirklich helfen.  

Spielt auch dein Kind die Vorlesesituation im Kindergarten zuhause nach? Erzählt es von Büchern, die es dort liest oder bringt sie mit nach Hause? Liest du mit deinem Kind Bücher zum Thema Kindergarten? Schreib uns einen Kommentar!

Erzieherin

Sandra Schmidt

Sandra Schmidt hat nach ihrer vierjährigen Erzieherausbildung über zehn Jahre im Elementarbereich gearbeitet und ist danach in den Krippenbereich gewechselt. Regelmäßig nimmt sie an Fort- und Weiterbildungen teil und liebt es, mit Büchern und Musik zu arbeiten. Eine ihrer letzten Fortbildungen war „Bilderbücher in Bewegung bringen“. Leseliebe im Kindergarten bedeutet für sie, dass Kinder einen ganz großen Wert ins Lesen hineinlegen und die Bücher selbst wirklich lieben.  

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