Artikel: Günther Jakobs & Birgit Macke im Interview
 

Illustrator Günther Jakobs und Lektorin Birgit Macke über Mitmachbücher für die Kleinsten

Günther und Birgit erzählen, wie mit viel Liebe und Leidenschaft Pappbilderbücher für die Allerkleinsten entstehen.

LeseliebeWie seid ihr zu einem/einer ‚KinderbuchmacherIn‘ geworden?

Günther JakobsIch komme vom Zeichnen her zum Kinderbuch. Damals in unserer Schülerzeitung war ich immer der Zeichner. Dann habe ich in Münster Philosophie und Design (mit Illustration als Hauptfach) studiert. Mein Illustrationsprofessor schickte uns dann immer zur Buchmesse, wo wir uns den Verlagen mit unseren Mappen vorstellten. So entstanden erste Kontakte. Birgit habe ich auch noch während meines Studiums kennengelernt, als sie Illustratoren in Münster besucht (und gesucht) hat. Durch sie habe ich übrigens den Auftrag zu einem meiner ersten Bilderbücher bekommen. Wir kennen uns quasi schon ewig, wenn es auch zu einer längeren Zusammenarbeit erst später beim Carlsen Verlag gekommen ist.

Birgit MackeBei mir entstand der Wunsch, einmal Lektorin in einem Kinderbuchverlag zu sein, bereits im Grundstudium. Dabei galt die Uni, die ich besucht hatte, nicht gerade als Hochburg für das Studium der Kinder- und Jugendliteratur. Dennoch festigte sich mein Berufsziel durch Praktika und Jobs. Sogar meine Magisterarbeit habe ich über Geschichten erzählen im Werk von James Krüss geschrieben – mir war es ein Anliegen, wissenschaftlich zu zeigen, dass Literatur Literatur ist, egal an welche Altersgruppe sich das Werk vornehmlich richtet. Und dann kam nach dem Studium und den Berufsträumen die Berufsrealität … Oh, bedeutungsschwangere Auslassungspunkte. Nein, im Ernst, ich hatte Glück, eines der wenigen Volontariate ergattert zu haben und wurde mit den Jahren passionierte Redakteurin speziell für Pappbilderbücher. (Fast) täglich bin ich dankbar, Kinderbuchmacherin sein zu dürfen und gemeinsam mit vielen kreativen, lebensklugen Menschen wie eben auch Günther etwas Bleibendes für so manche Familie zu entwickeln.

Baby mit Buch, lachen

LeseliebeWas macht ein gutes Kinderbuch für euch aus?

Günther Jakobs: Emotion und Identifikation! Das Buch muss etwas beim Leser auslösen, in welcher Form auch immer: Freude, Lachen, Trauer, Mitfiebern, Mitfühlen… Der Betrachter muss „gekitzelt“ werden. Das sind eigentlich die gleichen Anforderungen wie bei jeder Literatur oder jedem „Kunstwerk“.

Birgit MackeDem kann ich nur zustimmen. Vielleicht noch ergänzend: Wenn wir Kinderbuchmacher von Büchern für die Kleinsten es hinbekommen, dass auch die erwachsenen Vorleserinnen und Vorleser Freude an dem Werk haben, haben wir richtig gut gearbeitet. Dafür lässt sich hier und da mit verschiedenen, das Kind nicht störenden Verstehens-Ebenen spielen. Klappt nicht immer, aber manchmal. Das kann auch Vorleser motivieren, denen es nicht immer gelingt, sich auf das Entwicklungsniveau des Kindes und dessen aktuellen Buchgeschmack einzulassen.  Wichtig ist ja letztlich: Die gemeinsame Vorlese- und Bildbetrachtungssituation kann ein wunderbares Ritual in der Eltern-Kind-Beziehung sein, und wenn ein Kind spürt, dass Mama oder Papa beim Vorlesen ganz bei der Sache ist und auch Freude daran hat, kann das nicht nur für die Lesesozialisation positiv sein.

Innenseite Schnabbeldiplapp

LeseliebeTiere, Reime, Suchspiele – Gibt es etwas, das in einem Kinderbuch ab 2 Jahren unbedingt vorkommen muss?

Günther JakobsIch mag ja persönlich gerne Tierfiguren, weil damit etwas mehr gestalterische Freiheit verbunden ist. Ich kann mit Tierfiguren mehr ausprobieren, weil ich mich dadurch direkt auf einer anderen Erzählebene befinde, als wenn die Protagonisten beispielsweise Kindergarten-Kinder wären. Ich kann die Realität dadurch mehr dehnen und umgestalten. Gereimte Texte können nerven, wenn sie zu sehr hingebogen und hölzern wirken. Aber grundsätzlich sind Reime und Rhythmus schönes Stilmittel und können wunderbar wohlklingen. Außerdem merkt man sich den Text dadurch viel leichter.

Birgit MackeOb es etwas gibt, das unbedingt in einem Buch für Kinder ab 2 Jahren vorkommen muss? Nein, wir gehen immer wieder offen an ein Thema, eine neue Geschichte, eine neue Ausstattung, eine neue Figurenwelt. Klar ist, dass wir uns dabei stets kritisch hinterfragen müssen, damit wir nicht unbewusst doch Klischees, Stereotypen, überholte Rollenbilder usw. bedienen und damit Beispielgeschichten nicht zu erzieherisch daherkommen. Zudem ist es wichtig - wenn es sich nicht gerade um ein reines Quatsch-und-Spaß-Buch handelt -, dass das Ende gut und stärkend ist; das Ende der Geschichte muss emotional auffangen.

Günther Jakobs: So entsteht ein Pappenbuch

LeseliebeBei dem Frühlings-Oster-Buch „Die Eiersucherei“ hat Birgit die Redaktion übernommen und Günther Text, Lettering und Illustration. Sind das komplett getrennte Vorgänge oder seid ihr von der Idee bis zum fertigen Buch im ständigen Austausch?

Günther Jakobs: Die Zusammenarbeit mit Birgit ist sehr angenehm und fruchtbar! Ich schätze ihren Humor, ihre (meist) sehr nützliche Kritik und ihre guten Anregungen. Man könnte sagen: Wir sind ein eingespieltes Team. (Und ich hoffe, dass sie es auch so sieht!) Oft kommen gute Ideen und Ansätze für neue Bücher und Konzepte von ihr. Dann läuft es ganz von selbst. Manchmal braucht man eben den richtigen Anstoß, damit sich eine Idee entwickeln kann.

Birgit MackeJa, das sehe ich ganz genauso wie Günther. Es ist ein kreatives Ping-Pong-Spiel, bei dem nicht mehr viele Erklärungen nötig sind. Wir wissen schnell, was der andere meint. Gerade zu Beginn eines Projekts kann es sehr bereichernd sein, wenn man sich gegenseitig Impulse geben und aufgreifen kann. Oftmals schneide, klebe, kritzle - ja bastle ich ganz analog auch ein Muster aus Karton oder Papier. Oder ich zerlege vorhandene Bücher, um ins Innere zu schauen und bestenfalls noch weiter zu entwickeln. Dann schick ich von all dem auch einfach Fotos zu und schon ist für Günther klar, wohin die Reise unseres Buches gehen könnte. Ab dann ist es meist nur noch ein Begleiten. Wobei wir anhand der ersten Skizzen noch einmal intensiver in den Austausch gehen, besprechen, was sich vielleicht inhaltlich für die kleine Story noch besser darstellen lässt.  So war es auch bei der Eiersucherei. Und sehr praktisch ist es natürlich, dass Günther sowohl gereimt als auch illustriert hat. Seine Pappbilderbücher bei Carlsen sind ja immer mit Text und Bild aus einer Hand, was ich sehr schätze.

Innenseite Eiersucherei Hase mit Küken

Leseliebe„Die Eiersucherei“ ist als Pappenbuch mit Klappen und Drehscheiben ein typisches Mitmachbuch für Kinder ab 2 Jahren. Worauf kommt es bei der Herstellung eines solchen Buches an, wie viel Planung und Zeit steckt darin?

Günther JakobsDer ganze Prozess der Planung bis zum Erscheinen braucht einen langen Vorlauf, auch weil die Herstellung oft mehr Zeit benötigt als bei einem „normalen“ Bilderbuch. Manchmal fällt das lange Warten bis zur Veröffentlichung schwer! Inwiefern das Konzept und die Planung umfangreich ist, hängt auch davon ab wie innovativ und neu das Konzept oder wie aufwendig die Umsetzung ist. Dann muss man sich das irgendwie versuchen vorzustellen und ausprobieren und Dummies anfertigen…

Birgit MackeJa, bei Mitmachbüchern, die wie die Eiersucherei Spieleffekte bieten, braucht es in der Tat eine Weile. Bevor ein Autor oder Illustrator konkret mit ins Boot geholt wird, gibt es im Vorfeld zwischen Redaktion, Herstellung und Druckereien einige Produktentwicklungsphasen, die je nach Innovation von der Idee bis zum Prototyp auch schon einmal ein halbes Jahr in Anspruch nehmen können. Erst wenn passable Prototypen vorliegen, können die Kreativen starten. Und wenn die Kreativen fertig sind, brauchen die Drucker und die Speditionen auch noch einmal Zeit. Bei wirklich neuen Ausstattungsideen kann es von der Idee bis zum fertigen Buch im Regal der Buchhandlungen bis zu zweieinhalb Jahren dauern.
Bei der Eiersucherei war es nicht ganz so lange, denn Drehscheiben und Klappen für sich genommen waren nichts Neues. Der Prototyp war schnell da. Und dann ging es darum, die Effekte sinnvoll zu nutzen und in eine lustige Geschichte einzubauen.

Günther Jakobs: So entsteht ein Pappenbuch

Leseliebe: Birgit, du bist im Carlsen Verlag zuständig für Pappenbücher. Was sind die Vorteile von Pappenbüchern gegenüber Kinderbüchern mit Papierseiten und worauf sollten Eltern bei der Auswahl achten?

Birgit MackePappbilderbücher sind stabiler, halten den Begeisterungsstürmen der Jüngsten länger stand. Und sie eröffnen durch ihre Produktart so viel mehr Möglichkeiten, das Medium Buch mit allen Sinnen erlebbar zu machen. Da ist das Pappbilderbuch manches Mal im Vorteil gegenüber Büchern mit dünnen Seiten. Das begeistert mich selbst sogar immer noch und immer wieder. Pappbilderbücher können in ihrer Einfachheit wunderbar kraftvoll wirken, aber auch mit vielen Spieleffekten sehr faszinieren wie Schiebern, Drehscheiben, Gucklöchern, Klappen, Prägungen, Puzzeln (und wer weiß, was noch möglich wird in Zukunft). Manche Pappbilderbücher fördern so ganz spielerisch die taktile Wahrnehmung, die kindliche Motorik und Hand-Auge-Koordination. Es lohnt sich, ein Kind einmal beim Erkunden eines Klappenbuches zu beobachten: Welch Aha-Erlebnis lässt sich in seinem Gesicht ablesen, wenn es zum ersten Mal eine sogenannte Bewegungsklappe geöffnet und geschlossen hat, wenn es die Veränderung des Bildes mit eben dieser Klappe zum einen selbst initiiert und auch als Handlungsschritt en miniature wahrgenommen und verstanden hat. Es geht nichts über eine gute Klappe. Ich sag immer: Die erste App war eigentlich ein Klappenbuch.

Worauf Eltern achten sollten? Auf ihr Kind! Sie kennen es am besten und erleben, wie es auf welches Buch reagiert. Klar, wir Verlagsmenschen geben eine Altersangabe zur Orientierung mit. Und dabei haben wir natürlich die Meilensteine der kindlichen Entwicklung im Blick, wollen nicht überfordern und nicht unterfordern. Es gibt im Markt für die gleiche Altersgruppe eine riesige Bandbreite an Bilddarstellung und Textniveau. Letztlich gilt auch hier: Vielfalt anbieten und das eigene Kind als Buchnutzer kennenlernen, das Buch als Gesprächsanlass nehmen, das Buch gemeinsam erkunden, auf Bilder zeigen und kommentieren, bei Bedarf mehr erzählen als der gedruckte Text vorgibt. Und vielleicht auch ein Buch einfach mal doch noch zwei Monate liegen lassen und dann erneut anbieten. In den ersten Jahren kann die Entwicklung sich ja "wie alle Eltern" wissen rasant ändern.
Noch ein Wort zum CE: Pappbilderbücher für Kinder unter drei Jahren unterliegen der EU-Spielzeugrichtlinie. Alle großen Verlage achten sehr verantwortungsvoll auf die Einhaltung der Sicherheitsanforderungen und gehen zum Teil auch noch darüber hinaus. Dass beispielsweise dann manche Klappe im täglichen Gebrauch doch mal abgerissen wird, liegt auch daran, dass es aus Sicherheitsgründen bestimmte Grammaturvorgaben für Klappen gibt. Zum Glück haben wir aber für die ganz Aktiven unter den kleinsten Buchkindern auch noch die Unkaputtbaren, sozusagen die leichte Taschenbuchausgabe der Pappbilderbücher. Da zerreißt nichts, wie der Name schon sagt.

Innenseite Bennilein, schlaf gut ein

Leseliebe: Günther, du hast schon verschiedene Mitmachbücher illustriert. Welches Mitmach-Element magst du als Illustrator am liebsten? 

Günther Jakobs: Ich persönlich habe ja sehr viele Bücher mit Drehscheiben gemacht. Das ist ein spannendes Element, weil man es sehr unterschiedlich einsetzen kann, z.B. bei Dingen, die sich bewegen, Zeitabläufe, Hintergründe…

Leseliebe: Ist es bei Mitmachbüchern etwas anderes als bei normalen Bilderbüchern, das erste fertige Exemplar in der Hand zu halten und durchzublättern?

Günther JakobsEs ist spannender, ob die Herstellung so funktioniert hat, wie man es sich vorgestellt hat. Es kann einfach mehr schiefgehen, wenn sehr viel geklebt, gestanzt und perforiert wird.

Leseliebe: Ihr habt einen magischen Wunsch frei und dürft drei Bücher bestimmen, die jedes Kind auf der Welt in seiner Kindheit liest. Für welche Bücher entscheidet ihr euch?

Günther JakobsDas ist so schwierig, dass ich für die Auswahl eine Expertenkommission einberufen müsste, um einigermaßen ausgewogen und angemessen auszuwählen. Also relativ spontan:

1) Da müsste sicher Astrid Lindgren dabei sein. Am besten das Gesamtwerk, alternativ lediglich: „Ronja Räubertochter“

2) Michael Ende: „Die unendliche Geschichte“

3) Dann noch (relativ willkürlich) ein schönes Bilderbuch: „Hier sind wir“ von Oliver Jeffers

Birgit Macke„Wenn der Mond die Sterne zählt“, „Ritter Otto und sein Reittier“, „Bennilein, schlaf gut ein“ - Kann man hier jetzt einen Smiley setzen? Okay, noch einmal, ernsthaft: Eine Auswahl ist wirklich nicht so einfach. Es gibt so viel Gutes. Um bei der jüngeren Zielgruppe zu bleiben, würde ich mich für diese Bücher entscheiden:

1) „fünfter sein“

2) „Wo die wilden Kerle wohnen“ 

3) „Mausemärchen – Riesengeschichte“

Das sind alles zeitlose, wesentliche Bilderbuchgeschichten, die große Themen transportieren – für alle Kinder, egal an welchem Ort ein Kind auf der Welt lebt.

 

LeseliebeWelches Kinderbuch oder welche Lese-Situation hat in eurer eigenen Kindheit einen Eindruck hinterlassen, der bis heute nachwirkt und warum?

Günther Jakobs: „Momo“ habe ich als Kind und Jugendlicher sehr geliebt. Es hat mit seiner Gesellschaftskritik eine klare Botschaft. Mich hat Michael Endes philosophischen Ansatz in seinen Büchern beeindruckt.

Birgit Macke„Die letzten Kinder von Schewenborn“ und „Die Welle“ – beides Bücher, die in den Beginn der nachdenklichen Pubertätszeit fielen und mich besonders gefordert hatten, Gefühle der Angst und Wut auslösten und dem Hervorbringen eines eigenen politisch-gesellschaftlichen Bewusstseins auf die Sprünge halfen.

LeseliebeErgänzt doch netterweise den folgenden Satz für uns: Leseliebe ist …

Günther Jakobs: ...eine natürlich und wunderbare Eigenschaft des Menschen.

Birgit Macke: ...Bilder lesen lernen - von der ersten Wahrnehmung des elterlichen Gesichts über gemalte Bilder im Buch bis hin zu Sprachbildern in gedruckten Buchstaben. All solche Bilder können durchs Leben tragen.

Autor & Illustrator

Günther Jakobs

Günther Jakobs, geboren 1978 in Bad Neuenahr-Ahrweiler, studierte Philosophie und Design mit Schwerpunkt Illustration. Seitdem arbeitet er als freier Illustrator und Autor in den "Ateliers Hafenstraße" in Münster. Er liebt es, Bilderbücher zu machen, anzuschauen und auch vorzulesen (hauptsächlich seinen Kindern). 

Günther Jakobs, Illustrator
Lektorin

Birgit Macke

Ich habe in Münster gern und ausgiebig Germanistik, Erziehungswissenschaften und Publizistik studiert. Während des Studiums und während meiner Redaktionstätigkeiten bei Verlagen in Ravensburg und Bayreuth habe ich immer wieder ehrenamtlich mit Kindern zu tun gehabt, mal war ich fürs Jugendamt als Tagesmutter tätig, dann wieder für kirchliche Träger in der Hausaufgaben- und Intensivbetreuung sozial benachteiligter Kinder. Und dann kam unser wunderbarer Sohn zur Welt, mit dem ich dank Carlsen ins schöne Hamburg zog.

Birgit Macke, Lektorin

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