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Gastbeitrag: Lesen ist Reisen mit dem Kopf

Juliliest-Bloggerin Julia Bousboa erklärt, warum Leseliebe für sie Horizonterweiterung ist und Bücher das Tor zur Welt.  

„Nehmt zehn jetzt lebende Menschen, die ihr hoch schätzt und von denen ihr meint, dass sie wirklich etwas für die Menschheit geleistet haben, geht zurück bis in ihre Kindheit, und ich bin überzeugt, ihr findet zehn kleine Leseratten. Denn alles, was entsteht, muss zunächst einmal in der Fantasie eines Menschen Gestalt annehmen, wie sonst sollte es entstehen?“ 

Na, wer hat‘s gesagt? Astrid Lindgren natürlich, die große schwedische Kinderbuchautorin. Kritische Stimmen könnten nun behaupten, dass sie ja auch genau so etwas sagen muss – als große schwedische Kinderbuchautorin. Doch Astrid Lindgren hat natürlich vollkommen recht, nicht umsonst heißt es, Bücher seien das Tor zur Welt. 

Von Zuhause aus die Welt entdecken

Lesen ist Reisen mit dem Kopf

Durch Geschichten, Lesen und Vorlesen lernt ein Kind Menschen, Länder und Dinge kennen, die es vielleicht niemals gesehen hätte. Und diese Menschen, Länder und Dinge erzählen wiederum von Ansichten, Ideen und Herausforderungen, von denen es vermutlich niemals etwas erfahren hätte. Das ist nicht nur in der aktuellen Corona-Situation wichtig, aufgrund derer unsere Reisefreiheit noch für lange Zeit extrem eingeschränkt sein wird, sondern vor allem für Kinder, die unabhängig von Pandemien nicht viel von der Welt sehen. 

Nehmen wir zum Beispiel ein Bilderbuch über Frida Kahlo: Vordergründig ist es vielleicht die Geschichte über eine Malerin, die viele Tiere hatte. Doch Kinder erfahren beim Vorlesen dieses Buches noch mehr über die Welt! Sie lernen, dass es ein Land namens Mexiko gibt, in dem ein kleines Mädchen mit Kinderlähmung lebte, das später eine weltberühmte Künstlerin wurde – als Frau. So viel Weltwissen passt in ein einziges Bilderbuch. Gleichzeitig lässt es die eigene Fantasie und Vorstellungskraft wachsen: Was wäre wenn ich eine große Malerin wäre? Wie ist es wohl, in Mexiko aufzuwachsen? Was brauchen Kinder, die krank sind oder denen es aus anderen Gründen nicht gut geht? 

Raus aus der Filterblase!

Lesen ist Reisen mit dem Kopf

Doch um andere Welten oder Lebensformen zu sehen, muss man gar nicht bis nach Mexiko reisen. Es reicht auch der Blick in Bilderbücher, von Constanze von Kitzing und anderen AutorInnen, die zeigen, wie vielfältig und bunt das Leben bei uns in Deutschland ist. 

Es ist die Natur des Menschen, sich am liebsten in der Filterblase zu bewegen, in der er sich am wohlsten fühlt und das ist auch vollkommen logisch: Man wird in seinem Tun bestätigt und es ist nicht sehr anstrengend, sich mit Menschen zu umgeben, die genauso leben wie man selbst. Doch um im Sinne von Astrid Lindgren etwas entstehen zu lassen, braucht es mehr als die eigene Filterblase, die vielleicht hauptsächlich aus Mama, Papa, Ben und Emma besteht. Wenn schon nicht im eigenen Umfeld, so können Kinder spätestens durch Bücher erfahren, dass es noch andere Lebensweisen als die eigene gibt: Familien ohne Mutter oder mit zwei Müttern, Jungs in Röcken, Menschen mit fremd klingenden Namen oder fremd klingenden Festen, Familienmitglieder mit Beeinträchtigungen, Patchwork-Familien … Das Leben ist vielfältig und viele verschiedene Lebensmodelle können gleichberechtigt und gleichwertig nebeneinander existieren. Wer das beim täglichen Vorlesen gelernt hat, begegnet anderen Menschen und ihren vermeintlichen Eigenarten angstfrei. 

Der Blick über den Tellerrand ist wichtig

Lesen ist Reisen mit dem Kopf

Wir leben in einer globalisierten, digitalen Welt – es ist eine ganz andere Welt als Astrid Lindgren sie kannte. Doch das ändert nichts an der Richtigkeit ihrer Aussage. Mehr denn je sind wir darauf angewiesen, dass Menschen zu abstraktem Denken fähig sind, unterschiedliche Zusammenhänge erkennen und daraus etwas Neues schaffen. Das funktioniert nicht, wenn jeder in seinem Kleinklein bleibt und nicht über den eigenen Tellerrand hinausschaut. Und es wird gefährlich, wenn jeder sein eigenes Kleinklein für das beste der Welt hält und andere Lebensformen herabstuft. 

Bücher und Geschichten helfen dabei, Kinder von heute zu differenziert denkenden Erwachsenen von morgen zu machen, die keine Angst vor Fremdem haben, offen in die Welt hinausgehen – und großartige Dinge entstehen lassen. 

Welches Kinderbuch ist für dich ein echtes Tor zur Welt? Achtest du bei der Auswahl der Kinderbücher auf das Thema „Horizonterweiterung“? Was ist dir dabei besonders wichtig: andere Länder, fremde Kulturen, andere Lebensmodelle? Hast du schon einmal bemerkt, wie eine Lese-Erfahrung deines Kindes auf sein Verhalten in der echten Welt Einfluss genommen hat? Schreib uns einen Kommentar! 

Julia Bousboa von juliliest.net

Julia Bousboa bloggt auf www.juliliest.net über Kinder- und Jugendbücher und fokussiert sich dabei auf das Thema Diversität. 2018 wurde sie auf der Frankfurter Buchmesse mit dem Buchblog Award für den besten Kinder- und Jugendbuch-Blog ausgezeichnet. Die studierte Literaturwissenschaftlerin ist Mutter von drei wilden Söhnen und hat vor kurzem den Kinderbuch-Podcast Pu, der Wer?! gestartet. Leseliebe ist für sie vor allem Horizonterweiterung. 

Julia Bousboa von juliliest.net

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