„Ich habe Angst, dass ein Monster unter meinem Bett liegt“. Das ist ein bekannter Satz, der die meisten Eltern nicht besonders aus der Ruhe bringt. Mit einer Taschenlampe bewaffnet, gehen die verständnisvolle Mama oder der Papa mutig voraus und leuchten mit dem Kind die dunkelsten Ecken des Zimmers aus, um dieser Angst entgegenzuwirken. Mit ruhigen und schützenden, warmen Worten wird das Kind dann nach gemeinsamer, heldenhafter Entdeckerarbeit wieder ins Bett und ins Traumland begleitet.
Gastbeitrag: Auf Angst bei Kindern richtig reagieren
Ängste überwinden ist ein wichtiger Entwicklungsschritt. Unsere Experten verraten dir, wie du die Angstbewältigung unterstützt!
Angst ist ein wichtiges Grundgefühl
Eltern sollten sich und ihren Kindern stets vor Augen führen, dass Ängste als eines von vielen Grundgefühlen eine wichtige Funktion erfüllen. Gefühle dienen dazu, sich lebendig zu fühlen. Sie helfen uns bei der Einschätzung und Bewertung einer Situation, sie lösen Handlungsimpulse aus und sind in der zwischenmenschlichen Kommunikation von großer Bedeutung. Im Gegensatz zu unserer Sprache sind Gefühle auch kulturübergreifend verständlich. Dabei gibt es einen engen Zusammenhang zwischen dem Gefühl und der Körperreaktion. Empfindet jemand Freude, wird dies unter anderem durch eine entspannte Körperhaltung und ein Lächeln ausgedrückt. Dies signalisiert der Person gegenüber, dass keine Gefahr von ihr ausgeht, sondern Wohlwollen vorhanden ist. Empfindet jemand Angst, so dient dieses Signal als innere Warnung. Der Körper wird dabei in eine Art „Alarmbereitschaft“ versetzt. Typische Körpermerkmale sind ein erhöhter Herzschlag, körperliche Anspannung, vermehrtes Schwitzen. Für unsere Vorfahren war dieser Mechanismus überlebensnotwendig. So sorgte er dafür, dass der Körper bei der Begegnung mit einem Säbelzahntiger sofort bereit war, entweder zu kämpfen, oder zu fliehen.
In bestimmten Altersstufen sind gewisse Ängste daher vollkommen normal. Als alterstypisch gelten hierbei für
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Kleinkinder Ängste vor Fremden, lauten Geräuschen oder schreckhaften Situationen,
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etwas größere Kinder die Angst vor Monstern, Dunkelheit und Trennung,
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Schulkinder die Angst vor Krankheit, Verletzungen, Unfällen, vor schlechten Schulleistungen und sozialen Situationen.
‚Normale‘ Ängste oder kindliche Angststörungen?
Bei der Einschätzung der Angst eines Kindes in „normale“ Angstreaktion oder „Angststörung“ sollten sich Eltern zunächst auf ihr persönliches Gefühl verlassen. Sie sind die Experten für ihre Kinder und ihre Besonderheiten. Treten während der kindlichen Entwicklung Ängste auf, die eigentlich nicht mehr altersangemessen erscheinen, macht es Sinn, diese genauer zu betrachten, insbesondere wenn die Ängste über einen längeren Zeitraum (drei Monate) bestehen bleiben. Aufmerksam sollten sie zudem werden, wenn sich ihr Kind in besonderem Maße verändert und zum Beispiel an Aktivitäten, die bisher viel Spaß bereitet haben, nicht mehr teilnehmen möchte oder sich zunehmend zurückzieht. Auch der Verlust von Freude und eine traurige Grundstimmung können aus übermäßigen Ängsten resultieren. Ebenso reagieren ängstliche Kinder häufig mit körperlichen Beschwerden wie Bauchschmerzen, Übelkeit, Unwohlsein. Sollten sie solche Symptome über einen längeren Zeitraum wahrnehmen, empfiehlt es sich, eine Einschätzung durch einen Spezialisten, z.B. einen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie vornehmen zu lassen und sich beraten zu lassen.
Was hat Selbstvertrauen mit Angst und Mut zu tun?
Häufig führen Angststörungen indirekt zu einem geringen Selbstvertrauen und einer geringen Selbstwirksamkeit, da Ängste meist von Vermeidungsverhalten begleitet sind. Betroffene Kinder vermeiden das Erleben von unangenehmen oder angstbesetzten Situationen und begrenzen sich in ihrer Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln und „Heldentaten“ zu vollbringen. Gerade diese sind aber für Kinder von großer Bedeutung. Dabei geht es nicht darum, dass es in der Schulklasse die schnellste Zeit im Hundert-Meter-Lauf erläuft. Vielmehr geht es darum, an seinen persönlichen Fähigkeiten und Grenzen gemessen, Erlebnisse und Erfahrungen zu sammeln, bei denen sich das Kind traut, etwas Neues auszuprobieren und bisher festgelegte Grenzen testet und erweitert. So kann auch das erstmalige selbstständige Einkaufen beim Bäcker für die Familie oder der selbstständige Weg zu einer Spielkameradin ein wichtiges Erlebnis sein, das ein Kind Überwindung kosten und auf das es im Anschluss stolz zurückblicken kann.
Ängste überwinden durch Kinderbücher?
Kinderbücher können eine wichtige Rolle in der Vermittlung im Umgang mit Angst darstellen. In guten Kinderbüchern wird lebhaft dargestellt, dass auch der Held der Geschichte in eine angsteinflößende Situation geraten kann. Die Kinder lernen hierbei, dass Ängste in verschiedensten Situationen berechtigt sind. Gelingt es dem Helden der Geschichte, mit dem sich die Kinder identifizieren können, eine angstbesetzte Situation mit eigenen Kräften oder mit Unterstützung anderer aufzulösen, kann ihnen dies Orientierung im Umgang mit eigenen Ängsten geben. Dabei geht es in einem passenden Kinderbuch nicht allein darum, dass der Kinderbuchheld die gleiche Art von Angst durchlebt. Viel wichtiger ist es, dass in einer Geschichte ein lösungsorientierter Umgang mit der Angst dargestellt wird, der die Kinder ermutigt, es dem Kinderbuchhelden nachzumachen. Dies kann auch im Rahmen einer fantasievollen Märchengeschichte erfolgen, die in keinem direkten Bezug zu unserem gegenwärtigen, hochtechnisierten Alltag steht. Damit es deinem Kind gelingen kann, sich mit dem Kinderbuchhelden zu identifizieren, sollte das Buch für das Kind verständlich und altersangemessen sein.
Kinderbücher bei zu wenig Angst?
Selten gibt es Kinder, die keine Ängste zu haben scheinen oder übermütig wirken. Kinder mit einer Aufmerksamkeitsstörung und einer erhöhten Bewegungsunruhe können diesen Eindruck vermitteln. So stürzen sich diese nicht selten von einer Gefahrensituation in die nächste. Sie sind sich dabei nicht bewusst, dass ein spontanes Wettrennen über eine vierspurige Straße oder das Überklettern eines Zaunes zu einem Tiergehege schlimme Konsequenzen nach sich ziehen kann. Hierbei handelt es sich aber meist nicht um die Tatsache, dass diese Kinder kein Gefühl von Angst empfinden können, wie man zunächst vermuten könnte. Diese Kinder sind vielmehr zu sehr abgelenkt oder impulsiv in ihrer Handlungsplanung, sodass eine Beachtung von möglichen Gefahren schlicht übersehen wird. Auch hierbei ist in erster Linie der liebevolle und begleitende Umgang aufmerksamer und verständnisvoller Eltern notwendig, um den Kindern einen angemessenen Umgang mit gefährlichen Situationen verständlich zu machen. Abschreckende Bücherbeispiele wie der Struwwelpeter sollten mit Vorsicht oder einer gesunden Portion Ironie betrachtet werden. Auch hierbei gilt: Solltest du in Sorge sein, dass dein Kind sich übermäßig häufig und impulsiv in gefährliche Situationen begibt, scheue dich nicht davor eine Einschätzung und Beratung durch einen Spezialisten vornehmen zu lassen.
Kinder-Ängste überwinden – das kannst Du tun:
Do’s:
- Nimm die Ängste deines Kindes ernst.
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Nimm dir Zeit, die Ängste deines Kindes zu verstehen.
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Vermittele deinem Kind, dass Ängste zu unserem normalen Gefühlsrepertoire dazugehören und an richtiger Stelle wichtig und berechtigt sind.
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Suche mit deinem Kind gemeinsam nach Möglichkeiten, wie ihr dieser Angst begegnen könnt
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Sei ein Vorbild für dein Kind und zeige ihm, dass Ängste gemeinsam aushaltbar und kontrollierbar sind.
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Traue dich, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn du dir in deiner Einschätzung zu den Ängsten deines Kindes unsicher bist.
Dont`s:
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Tue die Ängste deines Kindes nicht voreilig als unbegründet ab.
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Stelle Ängste nicht als überflüssig und unnötig dar.
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Halte dein Kind nicht für überempfindlich/überängstlich.
Dr. med. Tobias Wehrmann
Tobias Wehrmann ist Kinder- und Jugendpsychiater geworden, weil seiner Meinung nach in der somatischen Medizin zu wenig Zeit für das Wesentliche bleibt: Die Beziehung. Deshalb ist die sprechende Medizin sein Fach geworden. In der Heilkunde für Kinderseelen hat er sein fachliches Zuhause gefunden und ist begeisterter Kinder- und Jugendpsychiater in der Praxis Paidion in Hamburg. Tobias Wehrmann kennt sich gut aus am Anfang und gegen Ende des Faches: mit den ganz Kleinen und den Adoleszenten (wann immer das Erwachsene auch beginnen mag). Er findet: „Leseliebe ist, auf Entdeckungsreise gehen und Abenteuer sammeln“
Prof. Dr.med. Michael Schulte-Markwort
Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort, ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie und leitet die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, zudem ist er Supervisor der Praxis Paidion-Heilkunde für Kinderseelen in Hamburg. Schon als Kind war er fasziniert von der Idee, die Welt mit den Augen anderer Menschen sehen zu können. Heute kennt er sich ganz gut aus mit psychisch kranken Kindern, hat einige Bücher dazu geschrieben und gilt als Experte u. a. für Kinder mit Burnout, Dyspraxie oder auch affektiven Dysregulationen. Mit Kindern sein Leben teilen, heißt, sein Leben vervielfachen, ist ein wichtiger Satz für ihn. Leseliebe ist für ihn „die Liebe zum Wort. Worte übersetzen Emotionen und sind lebenswichtig.“
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