Artikel: Kinderbuchmacherinnen Anna Woltz & Regina Kehn im Interview
 

Anna Woltz & Regina Kehn über ihr Bilderbuch und Babysitting

Wir interviewen Autorin und Illustratorin der wunderbar lustigen, vielschichtigen Bilderbuchgeschichte „Heute kommt Jule“.

Leseliebe: Wie sind Sie eigentlich zu einer ‚Kinderbuchmacherin‘ geworden?

Anna Woltz: It all started when I was 12: I had been reading A LOT in primary school, and one day I thought: why do others always get to decide what happens in these stories? I want to decide what happens myself! So then I knew: I just had to write a book myself. It took a lot of practicing, and when I was seventeen, I succeeded: my first novel for children was finished. (In Germany seven books have been translated so far, but I’ve been writing for a very long time now: in The Netherlands, I have published 25 books.) --- [Angefangen hat alles, als ich 12 Jahre alt war: Ich hatte in der Grundschule VIEL gelesen, und eines Tages dachte ich: Warum dürfen immer andere entscheiden, was in diesen Geschichten passiert? Ich will selbst entscheiden, was passiert! Da wusste ich: Ich muss einfach selbst ein Buch schreiben. Es brauchte viel Übung, und als ich siebzehn war, hatte ich es geschafft: Mein erster Roman für Kinder war fertig. (In Deutschland sind bisher sieben Bücher übersetzt worden, aber ich schreibe schon sehr lange: in den Niederlanden habe ich 25 Bücher veröffentlicht).]

Regina Kehn: Ich war von Kindheit an (und bin es bis heute) sehr fasziniert von Bildern jeglicher Art. Und ich erinnere mich noch an eine besonders schöne Landschafts-Zeichnung. Jedenfalls empfand ich es als Kind so, es war ein einfaches Haferflocken-Sammelbild. Ganz genau konnte ich mir vorstellen, in dieser gezeichneten Welt spazieren zu gehen. Wie schön es wäre, solche Bilder selbst zeichnen zu können, war mein spontaner Gedanke. Damals hatte ich noch nicht gewusst, dass dies ein Beruf für mich sein könnte.

Leseliebe: Was macht ein gutes Kinderbuch für Sie aus?

Anna Woltz: A good book needs a lot! A reader should always be curious to see what happens on the next page, a story needs humor and excitement and mystery, but at the same time a good book needs to have many layers and tell a serious story too. I love books with psychological depth (the depth is perhaps a bit more apparent in my 10+ books than in a picture book ?), and beautiful language; I’m always very happy when my readers tell me they found certain sentences really worth writing down and remembering. And last but not least: in my opinion, a children’s book needs great characters; kids you wish you could be friends with and have adventures together. --- [Ein gutes Buch braucht eine Menge! Ein Leser sollte immer neugierig sein, was auf der nächsten Seite passiert, eine Geschichte braucht Humor und Spannung und Geheimnisse, aber gleichzeitig muss ein gutes Buch viele Schichten haben und auch eine ernste Geschichte erzählen. Ich liebe Bücher mit psychologischem Tiefgang (der Tiefgang ist in meinen 10+ Büchern vielleicht etwas deutlicher als in einem Bilderbuch ?) und schöner Sprache; ich freue mich immer sehr, wenn meine Leser mir sagen, dass sie bestimmte Sätze wirklich wert fanden, aufgeschrieben und erinnert zu werden. Und last but not least: Meiner Meinung nach braucht ein Kinderbuch tolle Charaktere; Kinder, mit denen man gerne befreundet wäre und mit denen man gemeinsam Abenteuer erleben könnte.]

Regina Kehn: Die Einheit zwischen Text und Bild, oder die Spannung zwischen Text und Bild. Aber auch Papier, Typografie, gezeichnete Schrift und Ausstattung ergeben eine Einheit, die den Inhalt transportieren und ihn in seinem Ausdruck steigern. In diese Welten zu versinken und bereichert wieder aufzutauchen ist ein besonders beglückendes Erlebnis. Aber das gilt für mich für jede Art von Büchern, nicht nur für Kinderbücher.

Leseliebe: Sie haben einen magischen Wunsch frei und dürfen drei Bücher bestimmen, die jedes Kind auf der Welt in seiner Kindheit liest. Abgesehen von Ihren eigenen, für welche Bücher entscheiden Sie sich?

Anna Woltz: O wow, that’s a wonderful wish, but really difficult. For me, it would have to be at least one book from Astrid Lindgren – I think ‘Ronja Räubertochter’. From The Netherlands, it should be Lampje by Annet Schaap (translated into German as Emilia und der Junge aus dem Meer), and thirdly, the picture book Here we are by Oliver Jeffers. --- [Oh wow, das ist ein wunderbarer Wunsch, aber wirklich schwierig. Für mich müsste es mindestens ein Buch von Astrid Lindgren sein – ich glaube 'Ronja Räubertochter'. Aus den Niederlanden sollte es "Lampje" von Annet Schaap sein (ins Deutsche übersetzt als "Emilia und der Junge aus dem Meer"), und als drittes das Bilderbuch "Here we are" von Oliver Jeffers.]

Regina Kehn: Drei Bücher? Oh, das ist eine schwere Frage!

  • Ein Buch aus der „Rico und Oskar“-Reihe von Andreas Steinhöfel
  • „Paul Pinguin allein am Pol“ von Jory John und Lane Smith
  • Und ja : Grimms Märchen
Heute kommt Jule Innenseite Rakete

Leseliebe: In Ihrem Bilderbuch „Heute kommt Jule“ geht es ums Babysitten. Darin stellen die Kinder Felix und Nina anfangs mehrfach fest, dass Jule gar nicht wie eine echte Babysittern aussieht. Wie sieht denn eine ‚echte‘ Babysitterin aus?

Anna Woltz: Haha – there is really no specific way, of course, but Jule looks quite young and clueless. Felix and Nina are certain that’s NOT the way a real babysitter looks… --- [Haha - es gibt natürlich wirklich keine bestimmte Art und Weise, aber Jule sieht ziemlich jung und ahnungslos aus. Felix und Nina sind sich sicher, dass eine echte Babysitterin NICHT so aussieht ...]

Regina Kehn: Die beiden Kinder spüren sofort, dass Jule noch ein großes Kind ist. Eine echte Babysitterin ist demzufolge eine sehr erwachsene Elternvertreterin.

Leseliebe: Das Thema Babysitten ist ja nicht immer ganz einfach: Kinder können Angst haben, dass die Eltern weggehen oder auch Angst vor dem Babysitter als fremder Person. Was können Kinder mit solchen Trennungsängsten aus „Heute kommt Jule“ mitnehmen?

Anna Woltz: Children can learn from this story that a babysitter is just another human being: someone to have fun with, who might do things differently, but in the end: someone who will help them and comfort them. --- [Kinder können aus dieser Geschichte lernen, dass ein Babysitter nur ein weiterer Mensch ist: jemand, mit dem man Spaß haben kann, der vielleicht Dinge anders macht, aber am Ende jemand, der ihnen hilft und sie tröstet.]

Regina Kehn: Auch wenn alles ganz anders verläuft als erwartet, sind wir am Ende stärker und reicher. Wir haben eine besondere Zeit erlebt, die wir ohne Babysitterin nie erfahren hätten.

Heute kommt Jule Innenseite Wunsch

Leseliebe: Warum kommen Felix‘ und Ninas Eltern in dem Bilderbuch gar nicht vor?

Anna Woltz: The story is really about the relationship between Felix, Nina and Jule, parents would just ‘get in the way’. Mom and dad (or just mom, or mom and mom – we don’t know) aren’t the issue – the important thing is: they’re NOT there. And I think the best way to convey Mom is away from home is by not showing her at all… --- [In der Geschichte geht es eigentlich um die Beziehung zwischen Felix, Nina und Jule, die Eltern würden nur 'im Weg stehen'. Mama und Papa (oder nur Mama, oder Mama und Mama – wir wissen es nicht) sind nicht das Thema - das Wichtigste ist: Sie sind NICHT da. Und ich denke, der beste Weg, um zu vermitteln, dass Mama nicht zu Hause ist, ist, sie überhaupt nicht zu zeigen...]

Regina Kehn: Ich wollte eine Welt ohne Eltern kreieren. Es ist wichtig, dass die drei ihre Erfahrungen und Erlebnisse in einem erwachsenenfreien Raum machen, ihn wirklich erleben und ausschöpfen und sich in diesem Raum bewähren.

Leseliebe: Haben Sie für das Bilderbuch auf eigene Babysitter-Erfahrungen zurückgegriffen? Oder woher kommt die Idee zu dem herrlich chaotischen Babysitter-Abend?

Anna Woltz: My three year old son was a big inspiration – when Felix and Nina describe what they would like to do (stroke a gorilla, drive a racing car, have their birthday), I thought of things my son would love. And Nina calling her elbow her rainbow – that’s also something my son once did. Apart from that, I was just thinking about writing an upbeat, fun book about a babysitter without being boring. The last thing I want to do is get kids scared of babysitters, but I didn’t want to write about a babysitter who was just extremely sweet and perfect – that would be so boring! --- [Mein dreijähriger Sohn war eine große Inspiration – als Felix und Nina beschreiben, was sie gerne tun würden (einen Gorilla streicheln, einen Rennwagen fahren, ihren Geburtstag feiern), dachte ich an Dinge, die mein Sohn lieben würde. Und Nina, die ihren Ellenbogen ihren Regenbogen nennt – das ist auch etwas, was mein Sohn einmal getan hat. Abgesehen davon dachte ich einfach daran, ein fröhliches, lustiges Buch über einen Babysitter zu schreiben, ohne langweilig zu sein. Das Letzte, was ich will, ist, Kindern Angst vor Babysittern zu machen, aber ich wollte nicht über einen Babysitter schreiben, der nur extrem süß und perfekt ist - das wäre so langweilig!]

Regina Kehn: Anna hat durch den Text den Takt vorgegeben. Ich selbst hatte keine Babysitterin, bei mir und meinem Bruder war die Oma immer da. Aber ich kann mich sehr gut in die Kinder hinein versetzen.

Leseliebe: Wie ist es zu Ihrer Zusammenarbeit für dieses Bilderbuch gekommen?

Anna Woltz: Regina did the illustrations for my book Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess and I just loved the illustrations: they are so funny, with lots of feeling and movement and just oozing fun. We met at LitCologne, and had a wonderful dinner together. So when Carlsen asked me whether I would like to write a picture book for them, I knew straight away that I would love for Regina to make the illustrations. --- [Regina hat die Illustrationen für mein Buch „Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess“ gemacht und ich habe die Illustrationen einfach geliebt: sie sind so witzig, mit viel Gefühl und Bewegung und machen einfach Spaß. Wir haben uns auf der LitCologne getroffen und hatten ein wunderbares Abendessen zusammen. Als Carlsen mich dann fragte, ob ich ein Bilderbuch für sie schreiben möchte, wusste ich sofort, dass ich die Illustrationen gerne von Regina machen lassen würde.]

Regina Kehn: Ich habe für Anna Woltz schon „Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess“ bebildert und war von Anfang an begeistert von ihrer Art zu schreiben, von ihren Figuren, ihrem Humor und ihrer Sprache! Auch kann Anna besonders differenziert Emotionen auszudrücken. Ich würde sofort alles von ihr illustrieren. Dass es nun ein Bilderbuch geworden ist, freut mich besonders.

Heute kommt Jule Innenseite Streit

Leseliebe: Welches Kinderbuch oder welche Lese-Situation hat in Ihrer eigenen Kindheit einen Eindruck hinterlassen, der bis heute nachwirkt und warum?

Anna Woltz: The books about Anne of Green Gables by L.M. Montgomery. Anne is this amazing, lively, spirited character with a huge imagination – she’s always making up stories. I admired Anne so much, that I started to make up my own stories; I really wanted to be like her. Anne becomes a writer at the end of the series of books, so it was actually a character from a book that inspired me to become a writer myself … --- [Die Bücher über „Anne von Green Gables“ von L.M. Montgomery. Anne ist dieser erstaunliche, lebhafte, temperamentvolle Charakter mit einer riesigen Fantasie – sie denkt sich ständig Geschichten aus. Ich bewunderte Anne so sehr, dass ich anfing, meine eigenen Geschichten zu erfinden; ich wollte unbedingt so sein wie sie. Anne wird am Ende der Buchreihe zur Schriftstellerin, es war also tatsächlich eine Figur aus einem Buch, die mich dazu inspirierte, selbst Schriftstellerin zu werden ...]

Regina Kehn: Ich erinnere mich ganz stark an das Bilderbuch Henriette Bimmelbahn, von James Krüss, illustriert von Lisl Stich. Die Bilder haben einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. Noch heute sehe ich die Bilder vor meinem inneren Auge.

Leseliebe: Ergänzen Sie doch netterweise den folgenden Satz für uns: Leseliebe ist …

Anna Woltz: Everything! It’s love of life … --- [Alles! Es ist die Liebe zum Leben ...]

Regina Kehn: … ein eigener Kosmos, eine lebenslange Liebe! Das hat Anna geantwortet und ich kann es nicht besser ausdrücken!

Autorin

Anna Woltz

Anna Woltz wurde 1981 in London geboren und wuchs in Den Haag auf. Sie studierte Geschichte in Leiden und arbeitet seither als Autorin und Journalistin. In den Niederlanden und Deutschland sind ihre Bücher bereits vielfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis, dem Luchs des Monats, dem Silbernen und Goldenen Griffel. 

Autorin Anna Woltz
Illustratorin

Regina Kehn

Regina Kehn wurde 1962 in Hamburg geboren und studierte an der Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg Illustration. Seit 1988 ist sie als freiberufliche Illustratorin für verschiedene Verlage und Zeitschriften tätig, zeichnet, stempelt, druckt und schneidet und gestaltet auch Briefmarken für die Deutsche Post. Für ihre Arbeit wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet.

Illustratorin Regina Kehn

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